In diesem Jahr wird ein Projekt 40 Jahre alt, dessen Ergebnisse unser Leben mittlerweile in fast allen Lebenslagen prägen: IEEE 802.
Bereits 1979 gab es erste Bestrebungen, das von Robert Metcalfe entwickelte Ethernet herstellerübergreifend weiterzuentwickeln. Maßgebliche Treiber waren damals neben der von Metcalfe neu gegründeten Firma 3com die Unternehmen, DEC, Intel und Xerox (DIX-Gruppe). Von der DIX-Gruppe stammte die Spezifikation für Ethernet, damals noch ein Markenname von Xerox.
Nachdem das IEEE (Institute of Electrical and Electronic Engineers) zugestimmt hatte, ein neues Standardisierungskomitee ins Leben zu rufen, tagte im Februar 1980 das „LAN and MAN Standards Committee“ (LMSC) zum ersten Mal. Das Ziel war, Standards für die Datenübertragung über Local Area Networks (LAN) und Metropolitan Area Networks (MAN) zu entwickeln. Das gleichnamige Standardisierungsprojekt bekam dann die nächste laufende Nummer, die das IEEE damals zu vergeben hatte: 802 (Zufall oder nicht: Jahr ‘80, Monat 2).
Es sind neben einigen anderen Arbeitsgruppen insbesondere drei, die bis zum heutigen Tag aktiv sind und unsere Netze prägen:
802.1: Higher Layer LAN Protocols Working Group
802.3: Ethernet, ursprünglich CSMA/CD
802.11: Wireless LAN
Viele andere wie beispielsweise Token Bus (802.4) oder Token Ring (802.5) wurden dagegen im Laufe der Zeit eingestellt.
Inhaltlich hat sich das IEEE von Anfang an auf die beiden unteren Layer des OSI-Modells konzentriert, also auf den sogenannten Physical Layer (PHY) und den Data Link Layer (DLL). Da der Data Link Layer die Verbindung zwischen der physikalischen Übertragungsebene und der darüberliegenden, abstrakten Netzwerkschicht (Network Layer) bildet, hat das IEEE den Data Link Layer in zwei Teilschichten aufgeteilt, den Logical Link Control (LLC) und den Media Access Control (MAC) (siehe Abbildung 1).
Um diese Struktur umzusetzen, gibt es eine klare Aufgabenteilung der verschiedenen Arbeitsgruppen:
- Alle Protokolle und Technologien, die unabhängig vom physischen Übertragungsverfahren sind, werden in der Arbeitsgruppe 802.1 definiert und können damit von allen physikalischen Zugangsverfahren der 802-Familie verwendet werden. In dieser Arbeitsgruppe werden insbesondere die beiden Grundlagenstandards 802.1D („Media Access Control (MAC) Bridges“) und 802.1Q („Bridges and Bridged Networks“) entwickelt. Diese beiden Standards legen die grundlegenden Verfahren fest, mit denen Bridges funktionieren (Broadcasts, Multicasts, Unicasts, Weiterleitung von Frames, Lernen von MAC-Adressen, Filtern, Management von Bridges etc.) und außerdem alle wichtigen Layer-2-Protokolle wie Spanning Tree, VLANs, LLDP (Link Layer Discovery Protocol), Link Aggregation, Shortest Path Bridging (SPB), Data Center Bridging (DCB), Time Sensitive Networks u. v. a. m.
- Der Logical Link Control gilt ebenfalls einheitlich für alle Zugangsverfahren der 802-Familie. Das Protokoll wurde ursprünglich von der Arbeitsgruppe 802.2 entwickelt und im Standard IEEE 802.2-1998 letztmalig veröffentlicht. Der Standard gilt als stabil und wird nicht weiterentwickelt.
- MAC und PHY werden dagegen für jeden Medientyp in jeweils eigenen Arbeitsgruppen wie 802.3 (Ethernet) oder 802.11 (WLAN) definiert.
In der Regel gibt es hier eine gemeinsame MAC-Schicht, die den Frame-Aufbau und das oder die Medienzugangsverfahren, also beispielsweise CSMA/CD für Ethernet, festlegt, während als Layer 1 oft mehrere unterschiedliche Zugangsvarianten beschrieben werden, beispielsweise für unterschiedliche Kabeltypen wie Kupfer- und Glaserfaserkabel oder um mit unterschiedlichen Modulationen unterschiedliche Bandbreiten/Übertragungs-geschwindigkeiten realisieren zu können.
Charakteristisch für die 802-Standards ist eine sehr strenge Struktur der Dokumente, sowohl inhaltlich als auch formal. Der Grund hierfür ist das hochgesteckte Ziel, bei jeder Weiterentwicklung die Interoperabilität und Kompatibilität sowohl mit älteren Verfahren derselben Arbeitsgruppe als auch mit den übergeordneten Standards aus 802.1 und 802.2 aufrechtzuerhalten. Um dies zu erreichen, werden die Standards regelmäßig fortgeschrieben und nicht, wie man denken könnte, durch neue ersetzt! Diese Erweiterungen (amendments) werden jeweils mit Kleinbuchstaben gekennzeichnet und enthalten editorische Anweisungen, wie und an welchen Stellen das Basisdokument (gekennzeichnet durch Großbuchstaben) erweitert oder geändert werden soll.
Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt aus dem Dokument 802.3bt, in dem Power over Ethernet auf Leistung bis zu 90 W erweitert wird (sogenanntes PoE++). Wie Sie sehen können, sind eine Konsequenz dieses strengen Formalismus sehr schwer lesbare Dokumente mit vielen eher unwesentlichen Details wie Hinweise auf die geänderte Nummerierung einer Liste oder veränderte Verweise auf neue Kapitel. Sie können mir glauben, ich weiß wovon ich rede.
Solche Erweiterungen zu einem Standard werden eine Zeitlang gesammelt bis dann (so durchschnittlich alle drei bis fünf Jahre) ein neues Basisdokument des Standards erscheint, in dem alle Änderungen eingearbeitet sind.
Das ist der große Vorteil bei IEEE-802-Standards: Es gibt im Ergebnis nur einen Bridge-Standard 802.1Q oder nur einen Ethernet-Standard 802.3. Diese Dokumente sind dann zwar mitunter extrem umfangreich – 802.1Q-2018 umfasst knapp 2.000 Seiten, 802.3-2018 5.600 Seiten – aber alle Verfahren sind so aufeinander abgestimmt, dass sie gleichzeitig (soweit das einen Sinn ergibt) eingesetzt werden können. Es ist klar festgelegt, welche Verfahren zwingend (mandatory) und welche optional zu unterstützen sind.
Dies unterscheidet den Standardisierungsprozess grundlegend vom Vorgehen der zweiten großen Standardisierungsorganisation, der IETF (Internet Engineering Task Force). Bei der IETF kann praktisch jedes Mitglied einen Text veröffentlichen. Dieser wird zunächst als sogenannter Internet-Draft in den Gremien diskutiert und erhält später eventuell den Status eines RFCs (Request for Comments). Nur RFCs haben die Chance, im Laufe weiterer Begutachtungen zu einem sogenannten „Internet Standard“ zu werden. Der wesentliche Unterschied zum IEEE ist, dass alle RFCs fortlaufend aus einem einzigen Nummernkreis nummeriert werden. Es gibt also keine Möglichkeit, aus der Nummer eines RFCs auf dessen Inhalt zu schließen. Erweiterungen tragen eigene Nummern ohne Zusammenhang zum Basisdokument. Auch Weiterentwicklungen oder Korrekturen erhalten eine völlig neue Nummer. Ein einmal verabschiedeter RFC wird nie wieder überarbeitet. Um zu wissen, ob ein vorliegender RFC noch aktuell ist oder durch einen anderen ersetzt wurde und welche weiteren RFCs dazugehören, muss man die Hinweise im RFC-Index und im RFC Header lesen, zum Beispiel “obsoltes RFC x” oder “obsolted by RFC y”. Auch der Punkt Interoperabilität mit anderen RFCs wird, wenn überhaupt, nur von dem RFC selbst oder einem eigens hierfür geschriebenen Dokument behandelt. Es liegt auf der Hand, dass das nicht immer funktioniert.
Ein Vorteil dieser Vorgehensweise jedoch ist, dass viele RFCs nur wenige Seiten stark und dementsprechend einfach zu lesen sind.
Zwischen IEEE und IETF gibt es seit ihrer Gründung eine Art Arbeitsteilung: Das IEEE 802 beschäftigt sich mit den Layern 1 und 2, während die IETF sich auf die Layer 3 und höher konzentriert. Trotzdem kommt es manchmal zu einem Wettbewerb um die „besten“, sprich wirtschaftlich erfolgreichen Netzwerktechnologien. Am deutlichsten hat sich das 2011/2012 gezeigt, als die IETF mit TRILL (Transparent Interconnection of Lots of Links) ein Layer-2-Verfahren zur Ablösung des Spanning Tree Protocol verabschiedete – nur wenige Monate bevor das IEEE mit 802.1Qaq ein sehr ähnliches Verfahren unter dem Namen „Shortest Path Bridging“ (SPB) veröffentlichte. Hilfreich war und ist bis heute diese Doppelentwicklung nicht. Weder TRILL noch SPB haben sich im Markt durchgesetzt.
Der damalige und bis heute amtierende Chairman der Ethernet-Arbeitsgruppe 802.3 beim IEEE, David Law, war damals bei ComConsult zu Besuch und fand recht deutliche Worte für dieses eher ungewöhnliche Verhalten der IETF. Im Großen und Ganzen funktioniere die Zusammenarbeit mit der IETF doch recht gut. Das Interview, das wir seinerzeit mit David Law führten, können Sie unter folgendem Link abrufen: https://comconsult-study.tv/de/Interview-mit-IEEE-8023-Chef-David-Law::1468:5.html (Achtung: David Law ist Schotte ;-))
Apropos 802.3: Der zweifellos bekannteste und erfolgreichste Netzwerkstandard des IEEE startete ebenfalls 1980 mit der Entwicklung eines Halbduplex-Medienzugangsverfahrens mit der Bezeichnung CSMA/CD (Carrier Sense Multiple Access with Collision Detection) über Koaxkabel (sogenanntes Yellow Cable). Das Verfahren war Gegenstand des ersten Standards der Arbeitsgruppe 802.3-1983 zusammen mit dem ersten Medientyp 10BASE5 (10 Mbit/s Ethernet, auch Thick-Ethernet genannt).
Ende 1990 erschien dann die Erweiterung 802.3i mit der Definition von 10BASE-T: 10 Mbit/s Ethernet über ein vieradriges Kabel mit zwei Twisted Pairs. 10BASE-T ist eine Übertragungstechnik, die bis heute noch von vielen Systemen unterstützt wird und für den Erfolg von Ethernet wesentlich war. Ab dann folgten
- 1993 mehrere Varianten zur Übertragung über Multi-Mode-Glasfaserkabel,
- 1995 mit 100BASE-x (Fast Ethernet) die erste Verzehnfachung der Übertragungsgeschwindigkeit mit mehreren Schnittstellen für verschiedene Kupfer- und Glasfaserkabeltypen (MMF und SMF),
- 1997 ein Vollduplex-MAC-Protokoll, in dessen Folge moderne Switches die klassischen Hubs ablösten und CSMA/CD überflüssig wurde,
- ab 1999 1000BASE-x (Gigabit Ethernet),
- ab 2002 10GBASE-x (10Gigabit Ethernet) über Glasfaser und 2006 10GBASE-T über Kupferkabel,
- 2010 40GBASE-x und 100GBASE-x (40 und 100 Gigabit Ethernet) über Glasfaser und kurze Backplane-Verbindungen, 40GBASE-T wurde erst 2016 standardisiert.
- Seit 2017 sind verschiedene Varianten mit 400 Gbit/s (sogenanntes Terabit Ethernet) verabschiedet,
- 800 Gigabit Ethernet und 1,6 Terabit Ethernet sind in der Entwicklung.
802.3 umfasst mittlerweile über 100 physische Schnittstellen (PHY-Layer)!
Interessanterweise geht es dabei nicht allein um schneller und weiter, eine ganz aktuelle Erweiterung 802.3cg, veröffentlicht im November 2019, definiert eine Vollduplex-10-Mbit-Schnittstelle (kein Schreibfehler!) namens 10BASE-T1 über einfache Zweidrahttechnik (einpaarige Twisted-Pair-Kabel) mit einer maximalen Kabellänge von 1.000 Metern. Die Technik wurde speziell für den Automotive-Bereich und die Industrieautomation entwickelt, die dünnen Zweidrahtkabel sind einfacher und billiger zu verlegen.
Die Entwicklungen in der WLAN-Arbeitsgruppe 802.11 sind nicht minder spannend und verändern mittlerweile sogar die Art und Weise, wie die Basisinfrastruktur in Büro- und Privathäusern aufgebaut wird. Eine detaillierte Betrachtung dieser Techniken würde aber an dieser Stelle zu weit führen.
Auf jeden Fall kann man festhalten, dass das Projekt IEEE 802 noch lange nicht am Ende ist. Wir gratulieren zum Jahrestag und wünschen viel Erfolg bei der Weiterentwicklung der Grundlagen unserer Netzwerktechnologien.