Konzeptionierung und Ausschreibung einer Contact-Center-Lösung
05.09.22 / mit Leonie Herden sprach Christiane Zweipfennig
aus dem Netzwerk Insider September 2022
Mit dem wachsenden technologischen Fortschritt der Arbeitswelt steht für Unternehmen früher oder später der Wechsel auf neue Geräte und Systeme auf dem Programm: Von einer neuen Arbeitsplatzausstattung bis hin zu einem Upgrade des Telefonsystems – der Trend geht zweifelsohne immer mehr in Richtung Digitalisierung.
Leonie Herden ist seit über neun Jahren bei ComConsult im Bereich Kommunikation tätig. Sie beschäftigt sich mit Chat-, Audio- und Videokommunikation und entwickelt für Kunden Konzepte für moderne Kommunikationslösungen. In diesem Interview berichtet sie, wie sie für eine deutsche Versicherung ein Konzept für ein neues Contact-Center-System aufstellte.
Ein Versicherungskonzern hat vor 10 Jahren Systeme für Telefonie und Contact Center angeschafft, die dessen heutige Anforderungen nicht mehr erfüllen. Was war der Auftrag von ComConsult?
Wir wurden von der Versicherung beauftragt, eine Analyse über die Anforderungen an eine neue moderne Kommunikationslösung durchzuführen. Die vorhandene Kommunikationstechnik in diesem Konzern basierte auf zwei technischen Systemen: Zum einen hatte der Kunde eine klassische Telefonanlage mit Tischtelefonen ohne CTI-Integration. Zudem gab es eine Erweiterung dieser Anlage für Contact-Center-Funktionen wie zum Beispiel Anrufverteilung und Warteschlangen.
Wo sollte die neue Kommunikationslösung eingesetzt werden?
Das neue System sollte für drei große und für mehrere kleine Standorte, an denen hauptsächlich Mitarbeiter aus dem Kundenservice arbeiten, eingeführt werden. Insgesamt sind an den Standorten rund 1.000 Mitarbeiter beschäftigt, davon 700 im Kundenservice.
Wie startete das Projekt?
Zuerst haben wir gemeinsam mit dem Projektteam des Kunden schriftlich zusammengefasst, welche Lösungen vorhanden sind und welche Funktionen genutzt werden. Wir haben dann mit den Mitarbeitern aus den einzelnen Fachbereichen, die bei einer Versicherung typischerweise in Bereiche wie Schaden, KFZ-, Sach-, Lebensversicherung und weitere aufgeteilt sind, Interviews geführt.
Was wurde in den Interviews abgefragt?
Zusammen mit dem Kunden haben wir für die Interviews einen Leitfaden aufgestellt, in dem wir grundsätzliche Themen festlegten. Fragen waren zum Beispiel: Arbeiten Sie stationär oder im Homeoffice? Wie ist die Arbeitsplatzausstattung: Laptop, PC oder Thin Client? Wie verteilt sich Ihre Arbeit auf E-Mail, Telefonie und sonstige Programme? Welche vorhandenen Kommunikationsmittel funktionieren Ihrer Erfahrung nach nicht optimal? Welche Funktionen fehlen Ihnen für Ihre Kommunikation?
Habt ihr durch die Interviews bestimmte Nutzergruppen identifizieren können?
Ja. Wir haben insgesamt circa zwanzig Interviews mit Bereichsleitern und Sachbearbeitern durchgeführt. Es gab zum Beispiel die Gruppe der Vertriebsmitarbeiter, die grundsätzlich mobil unterwegs sind, einen Laptop haben und nur gelegentlich telefonieren. Dann gab es Sachbearbeiter, die im Wesentlichen stationär mit einem Laptop oder PC arbeiten.
Welche Wünsche an das neue Kommunikationssystem wurden genannt?
Grundsätzlich wurden sehr ähnliche Anforderungen formuliert. Viele wünschten sich zum Beispiel, dass man aus einem bestimmten Versicherungsprogramm den Kunden direkt zurückrufen kann, ohne sich erst umständlich die Telefonnummer heraussuchen zu müssen. Vielfach wurde der Wunsch nach einer Integration der Anwendungen geäußert: Wenn ein Anruf hereinkommt, sollte automatisch das entsprechende Tool geöffnet werden, damit sich der Sachbearbeiter direkt in der Kundenakte befindet. Und beim internen Weiterleiten eines Kundenvorgangs sollten so viele Informationen wie möglich weitergegeben werden können.
Sollte es getrennte Lösungen für die Telefonie- und die Contact-Center-Lösung geben?
Die Tätigkeiten des Mitarbeiters verteilten sich ungefähr zu gleichen Teilen auf Kundenkommunikation im Contact Center und interne Kommunikation und Arbeit am Schreibtisch. Einige Mitarbeiter arbeiteten schon mit Microsoft Teams und benutzten auch die Telefonanlage. Sie mussten sich dann bei parallel eingehenden Kundenanrufen entscheiden, welchen Anruf sie zuerst annehmen. Deshalb war es wichtig, dass die neue Lösung übergreifend sein sollte, das heißt, die Contact-Center- und die Telefonie-Lösung sollten komplett intergiert werden und keine getrennten Welten mehr darstellen.
Gab es durch die Corona-bedingte Homeoffice-Situation besondere Schwierigkeiten?
Ja, auf jeden Fall. Das Projekt startete im Frühjahr 2020, als gerade alle Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt wurden. Die Tischtelefone waren allerdings in den Büros und die Sachbearbeiter hatten teilweise nur eingeschränkten Zugriff auf Telefonie-Dienste. Da gab es die lustigsten Konstrukte, um auch im Homeoffice telefonieren zu können, indem zum Beispiel eingehende Anrufe auf private Telefonnummern weitergeleitet wurden.
Schon im Vorfeld wurde vom Kunden die Einführung von Microsoft 365 beschlossen.
Ja, genau. Durch die Vorgabe von Microsoft 365 war es klar, dass Microsoft Teams zum Einsatz kommen wird. Wir brauchten also keine neue Telefonie-Lösung zu suchen und haben uns darauf konzentriert, eine Erweiterung für das Contact Center zu finden, die sich mit Microsoft Teams verbindet.
Welche Zielsetzung gab es für die neue Contact-Center-Lösung?
Neben Funktionen wie Anrufverteilung und Warteschlangen war das Ziel, ein Omni-Channel-Routing zu etablieren, über das nicht nur Anrufe, sondern auch Anfragen über Chat und E-Mail verteilt und mit Microsoft Teams verknüpft werden können. Im Versicherungswesen spielt Korrespondenz per Briefpost immer noch eine große Rolle. Die Briefe werden zentral eingescannt und diese digitalen Dokumente sollten ebenfalls dem bearbeitenden Sachbearbeiter zugeordnet werden. Die Contact-Center-Lösung musste also Spezialfunktionen wie das Routing von Dokumenten und E-Mails zur Verfügung stellen. Wenn ein Sachbearbeiter mit einem Kunden telefoniert und anschließend vom Kunden eine E-Mail erhält, sollte diese automatisch dem Sachbearbeiter, der schon mit dem Kunden in Kontakt steht, zugeordnet werden können.
Wie ist die Integration in Microsoft Teams technisch umzusetzen?
Die Einbindung einer Contact-Center-Lösung in Microsoft Teams war schon eine Herausforderung. In der Contact-Center-Lösung werden die Sachbearbeiter nach Benutzergruppen zusammengestellt und man definiert sogenannte Routing-Profile beziehungsweise Callflows. Eingehende Anrufe werden beispielsweise für den Bereich Schaden in die Wartschlangengruppe eins gelegt und können den jeweiligen Sachbearbeitern als Microsoft-Teams-Anrufe zugestellt werden. Die Sachbearbeiter können sich über den Contact-Center-Client aktiv in die jeweiligen Warteschlangengruppen einbuchen und den Anruf entgegennehmen.
Wie funktioniert die Verteilung beim Routing?
Nehmen wir ein Beispiel: Bei der Hotline rufen zehn Kunden gleichzeitig an. Die Anrufe müssen auf fünf zur Verfügung stehende Sachbearbeiter verteilt werden. Es gibt verschiedene Verteilmechanismen. Entweder der Mitarbeiter, der am längsten keinen Anruf hatte, bekommt den nächsten Kundenanruf. Eine andere Möglichkeit ist es, die Sachbearbeiter zu priorisieren. In dem Fall bekommt Mitarbeiter eins den ersten Anruf, Mitarbeiter zwei den zweiten und wenn Mitarbeiter eins fertig ist, bekommt er den nächsten eintreffenden Anruf. Wenn ein Anruf eingeht, bei dem anhand der Telefonnummer das System einen vorhandenen Kundenkontakt erkennt, verbindet es direkt mit dem zuständigen Sachbearbeiter. Es gibt auch sogenannte VIP-Routings. Hier werden bestimmte Kunden als besonders wichtig markiert und vom System in der Warteschlange nach vorne geschoben. Eingehende E-Mails oder Dokumente werden an Sammelpostfächer gesendet und von dort aus nach ähnlichen Prinzipien verteilt.
Wofür ist ein detailliertes Reporting nützlich?
Die Berichte geben Aufschluss über das Anruf-und E-Mail-Aufkommen. Man kann zum Beispiel analysieren, wie viele Anrufe zu welcher Zeit eingingen, wie lange die Kunden in der Warteschlange waren und wie viele Kunden den Anruf abgebrochen haben. Daraus lassen sich wichtige Rückschlüsse über den Einsatz des Personals ziehen. Bei Großereignissen, wie zum Beispiel der Flutkatastrophe im letzten Sommer, ist damit zu rechnen, dass in den kommenden Tagen die Zahl der telefonischen Anfragen in den Bereichen Hausrat- und Gebäudeversicherung extrem steigt.
Wozu brauchen Gruppenleiter Echtzeitanzeigen?
Die Gruppenleiter erhalten durch die Echtzeitanzeigen Informationen über die aktuelle Auslastung ihres Teams. Sie sehen, welcher Mitarbeiter im Anruf oder in der Nachbereitungszeit ist, in der er das, was mit dem Kunden besprochen wurde, in die Kundendaten einpflegt.
Welche Konsequenzen hat der Wechsel der Kommunikationslösung auf die Ausstattung der Arbeitsplätze?
Die Versicherung hatte das Vorhaben, die stationären Telefone abzuschaffen und nur noch Soft Clients einzusetzen. Die Nutzung von Thin Clients ist in Zusammenhang mit Echtzeitkommunikation über Soft Clients oft schwierig, daher sollten sukzessive alle Mitarbeiter Laptops statt der bisherigen Thin Clients erhalten.
Welche Empfehlung für ein Rufnummernkonzept habt ihr ausgesprochen?
Im Idealfall gibt es zentrale Hotlines, über die sämtliche Mitarbeiter erreicht werden können. Unser Kunde arbeitet viel mit Vermittlern zusammen. Jeder Vermittler kontaktiert seinen Sachbearbeiter über dessen persönliche Durchwahl. Auch Großkunden stehen oft mit ihrem persönlichen Ansprechpartner in direkter Verbindung. Wir haben empfohlen, dass solche Anrufe von der Contact-Center-Lösung initial verwaltet werden sollen, damit sie mit in das Reporting einfließen.
Die Unterlagen für die Ausschreibung der Contact-Center-Lösung hat ComConsult ausgearbeitet?
Ja. Wir haben die Leistungsbeschreibung, den Anforderungskatalog und das Preisblatt zusammengestellt. Da es sich nicht um eine öffentliche Ausschreibung handelte, haben wir die Unterlagen direkt an ausgewählte Anbieter versendet. Einige der abgegebenen Angebote wurden von uns direkt ausgeschlossen, weil wichtige Kernanforderungen nicht erfüllt wurden. Wir haben uns fünf Firmenpräsentationen angeschaut. Zwei Favoriten haben wir zu weiteren Gesprächen eingeladen, um Details abzufragen. Am Ende haben wir eine kaufmännische Entscheidung im Sinne des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses getroffen.
Wie wurde die Migration vorbereitet?
Wir haben dem Kunden empfohlen, mit dem ausgewählten Anbieter eine Teststellung der neuen Lösung durchzuführen. Dabei hat eine kleine Gruppe mit dem neuen System gearbeitet und geprüft, ob alle benötigten Funktionen vorhanden sind. Für die Testgruppe wurden die Routingmechanismen und Eingangskanäle definiert und die Agenten haben ihre Clients bekommen. Nach erfolgreichem Testdurchlauf sollte die Gruppe mit der neuen Lösung dann in den Realbetrieb gehen. Wir haben vorgeschlagen, nach dem Prinzip „Gruppe für Gruppe“ eine schrittweise Migration zur neuen Lösung vorzunehmen.