Enterprise Architekturmanagement zukunftsorientiert ausrichten (Next Generation EAM)
04.10.23 / Ernst Tiemeyer
aus dem Netzwerk Insider Oktober 2023
Enterprise IT-Architecture Management (kurz EAM) gewinnt eine immer höhere Bedeutung für Unternehmen und Dienstleistungsorganisationen aller Art und Größe. Jedoch stellt der Einstieg oder der Ausbau in die neue Welt des Architekturmanagements – dem sog. Next Generation EAM – für viele Organisationen nach wie vor eine echte Herausforderung dar. In diesem Beitrag von Ernst Tiemeyer erfahren Sie, welche Handlungsgebiete Unternehmen auswählen und angehen sollten, damit eine zeitgemäße Ausrichtung von EAM in der Praxis gelingt.
Von der IT-Architektur zur Enterprise Architecture (EA)
Die Planung und erfolgreiche Steuerung von Unternehmensarchitekturen gewinnt in der Unternehmenspraxis einen immer höheren Stellenwert. Ausgangspunkt für das Architekturmanagement im IT-Bereich war lange Zeit das rein auf IT-Systeme (Applikationen, Daten) und Informations- und Kommunikationstechnologien (Infrastrukturen, Netze, Plattformen) bezogene IT-Landscape-Management.
Dabei ging es ursprünglich im reinen IT-Architekturmanagement vor allem darum, die IT-Landschaften zu harmonisieren und konsolidieren. Insgesamt wurde der Fokus für das IT-Management vor allem daraufgelegt, mittels Architekturmanagement einen effizienten und sicheren IT-Betrieb zu gewährleisten. Die Entwicklung der IT-Landschaft wurde so geplant, dass sich für das Management ein greifbarer Orientierungsrahmen für die zukünftige Entwicklung der IT-Organisation und der dabei eingesetzten Applikationen, Datenbank-Plattformen und Infrastrukturelemente bildete.
Damit verbunden ergab sich die Möglichkeit, durch die Reduzierung der Überdimensionierung der IT-Systeme sowie durch Abbau redundanter oder überflüssiger Funktionalitäten in Applikationen auch einen Beitrag zum Abbau der Komplexität der Anwendungslandschaft und zu einer höheren Transparenz zu leisten. In der Planungsarbeit wurden Ziel-Architekturen entwickelt, die dann in Projekten mit den IT- und Solution-Architekten erfolgreich umgesetzt wurden.
Mit dem Konzept der Enterprise Architecture (Unternehmensarchitektur) und der Verwendung des Kürzels EAM (für Enterprise Architecture Management) erweiterte sich die reine IT-Sicht (die IT-Architektur) um Geschäftskomponenten sowie um organisatorische und strategische Denk- und Handlungsweisen (Organisation, Business Capabilities, Geschäftsprozesse, Geschäftsobjekte sowie Einbezug der Unternehmensstrategie).
Unter Anwendung eines Metamodells bzw. eines darauf basierenden EA-Tools (= EA-Managementsystems) wird Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, alle wesentlichen Elemente der Unternehmensarchitektur zu erfassen, transparent abzubilden und zu steuern. So werden die wesentlichen Voraussetzungen für integrierte Konzepte für die Planung der Business IT-Landschaft gelegt und die Grundlagen einer unternehmensweiten Steuerung (Governance) geschaffen. Wichtige Elemente des unternehmensspezifischen Metamodells sind – ausgehend von der vorliegenden Unternehmensorganisation – insbesondere
- die Unternehmensfunktionen, Geschäftsobjekte, Geschäftsprozesse sowie Business-Capabilities (Geschäftsarchitektur oder fachliche Architektur),
- die Applikationen und IT-Services (Anwendungs- oder Applikationsarchitektur),
- die Datenarchitektur (Informationsarchitektur) sowie
- die zugrunde liegenden Plattformen, Netzwerke und IT-Infrastrukturkomponenten (Technologiearchitektur einschließlich Cloud Architecture).
Den Zusammenhang zwischen der Geschäftsarchitektur und den Bereichen der IT-Architektur illustriert die Abbildung 1.
Die skizzierten Elemente der Enterprise Architecture (kurz EA) werden zur Unterstützung von Planungs-, Entwurfs-, Kontroll- und Steuerungsaufgaben mit ihren wesentlichen Elementen erfasst und dokumentiert. Dabei werden die Beziehungen der einzelnen Objekte und Komponenten untereinander (innerhalb der jeweiligen Architekturbereiche) sowie zu anderen Architekturbereichen festgehalten.
Das Besondere von EAM: Im Unterschied zur reinen IT-Architektur-Sichtweise wird auch das Zusammenspiel von Elementen der Informationstechnologie (Applikationen, Daten, Infrastruktur) mit der geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens (Geschäftsfelder, Geschäftsprozesse, Geschäftsfunktionen, Organisationseinheiten, Rollen, Geschäftsobjekte, Business Capabilities) in den Blick genommen. So werden integrierte architekturelle Planungen und Entwürfe ermöglicht sowie transparente Integrationslösungen (Solution-Architekturen) geschaffen, die eine hohe Resilienz und Flexibilität gewährleisten.
Aktuelle Leitplanken für Rolle und Handlungsfelder von EAM
Entscheidungen für eine Ausrichtung von Enterprise Architecture Management hängen zunächst einmal primär von der Ausgangssituation des Unternehmens ab. So spielt es natürlich eine Rolle, ob es schon Erfahrungen und Verankerungen von Architekturmanagement im Unternehmen gibt. Besteht die Möglichkeit, hier völlig neu zu starten, so ist natürlich der Handlungsrahmen für die Verantwortlichen (Geschäftsführung, IT-Leitung etc.) anders zu sehen, als wenn schon Erfahrungen mit IT-Architekturmanagement oder Business-Architekturkonzepten vorliegen. Im letzteren Fall – basierend auf einem EA-Assessment – bedeutet dies, gezielt neue Handlungsfelder zu überlegen und so die gesamte EA-Organisation zu optimieren.
Einen Gesamtüberblick über die EAM-Handlungsfelder zeigt Abbildung 2.
Unabhängig von der Ausgangssituation des Unternehmens besteht heute Einverständnis darüber, dass sich Positionierungen zum Next-Generation-EAM im Unternehmen in folgenden Leitplanken wiederfinden: EAM als
- Innovationsmotor im Unternehmen
- Enabler datengesteuerter Organisationen
- Treiber der Digitalisierung bzw. digitaler Transformationsvorhaben
- Garant für das Erfüllen regulativer und resilienter Anforderungen
EAM wird zum Innovationsmotor im Unternehmen
Enterprise-IT-Architekten nehmen bereits heute wichtige Aufgaben bei Entscheidungen über Technologieinnovationen wahr. Ergänzend erfordert es auch ein Involvieren der Enterprise-Architekten bei Innovationsinitiativen („die richtigen Innovationen machen“), indem die Einsatzpotenziale neuer Technologien und Verfahren rechtzeitig erkannt werden. Die damit verbundenen Migrations- und Umsetzungsmaßnahmen können unter Berücksichtigung von Impact-Analysen erfolgreich konzipiert und realisiert werden („Innovation ganzheitlich richtig implementieren“).
Eine moderne Enterprise-Architecture-Funktion spielt eine Schlüsselrolle, um strategische Geschäfts- und IT-Ziele zu erreichen. Sie hilft der Organisation, effizient zu arbeiten, Silos zu durchbrechen, Optimierungspotenziale zu identifizieren sowie Risiken in Zusammenhang mit dem Einsatz intelligenter Technologien zu begrenzen.
Enterprise-IT-Architekten sind entscheidende Enabler datengesteuerter Organisationen
Enterprise Architecture Management spielt immer mehr eine Schlüsselrolle beim Aufbau und der kontinuierlichen Weiterentwicklung einer datengesteuerten Organisation. Man spricht hier auch von einem Trend zum data centric EAM. Dabei ist für die Entwurfs- und Umsetzungsphase von Solutions in datengetriebenen Unternehmen ein Denken und Handeln nötig, das eine unternehmensweite Sicht der Datenanforderungen bereitstellt.
Dazu sind die strategischen Geschäftsprioritäten auf die technologischen und applikationsbezogenen Voraussetzungen abzustimmen. Da der organisatorische Bedarf an Daten und Analysen wächst, werden Enterprise-Architekten benötigt, die ihre ganzheitliche Unternehmenssicht nutzen, um dabei die Geschäftsprioritäten mit der Datenarchitektur bzw. den Applikations- und Technologielandschaften erfolgreich zu verknüpfen. Im Ergebnis kann so sichergestellt werden, dass mit dem Bereitstellen integrierter Architekturentwürfe Entscheidungsträger über die Daten verfügen, die sie benötigen, um Geschäftsergebnisse zu erzielen.
Aufgabe der EA-Organisationen muss es sein, für Unternehmensorganisationen ganzheitliche Konzepte dafür zu entwickeln, wie Daten erfasst und aus verschiedenen Systemen, Applikationen und Prozessen fließen, um Geschäftsdaten in Echtzeit in Systemen und Applikationen bereitzustellen.
Enterprise-IT-Architekten sind Treiber der Digitalisierung bzw. der digitalen Transformation
Eine besondere Schlüsselrolle für Enterprise-Architekten liegt in der Planung und Umsetzung digitaler Transformationen. EAM-Kompetenz ist für die Auswahl und für die erfolgreiche Steuerung digitaler Transformationsvorhaben unverzichtbar.
Ausgangspunkt für das Umsetzen digitaler Transformationsvorhaben bzw. komplexer Projekte ist in der Regel ein vereinbartes Portfolio, das aufzeigt, welche digitalen Projekte in Angriff genommen werden sollen. Für alle digitalen Projekte des Portfolios sind frühzeitig Überlegungen darüber anzustellen, welche Unternehmens-IT-Architekturen (Entwicklungswerkzeuge, Applikationen, Daten, Devices, Infrastrukturen und Plattformen) bezüglich der Projektentwicklung und Projektumsetzung hilfreich sind und dabei Ergebnisse liefern, die im Einklang mit den aktuellen – ggf. zu adaptierenden – Architekturvorhaben stehen.
Digitalisierung führt für viele Unternehmen außerdem dazu, dass sie sich von klar strukturierten, hierarchischen Organisationen hin zu flexiblen (agilen) Unternehmen wandeln. Diese werden heute verbreitet als „composable enterprise“ beschrieben und so konzipiert, dass sie agil und weltweit skalierbar sind und sich neue Wege für die Geschäftserbringung ergeben. Digitalisierung ist dafür der zentrale Enabler, die IT wird untrennbarer Bestandteil des Business.
EAM ist ein wesentlicher Garant für das Erfüllen regulativer und resilienter Anforderungen
EAM-Systeme verfügen über Metamodelle, die wichtige Grundlageninformationen „auf Knopfdruck“ den Verantwortlichen und Stakeholdern bereitstellen können. Dies gilt etwa für Auswertungen zu regulatorischen Anforderungen, die gemäß DSGVO, Lieferkettengesetz oder ESG-Reporting zu erfüllen sind.
Die Rolle von EAM ändert sich vielfach signifikant von der Risikovermeidung hin zur Anpassungsfähigkeit und den Umgang mit Unsicherheiten – denn nur so ist die Überlebensfähigkeit des Unternehmens zu sichern. Erst wenn mit EAM-Unterstützung wesentliche Daten des Unternehmens strukturiert bereitgestellt und beherrscht werden, können durch die Analyse dieser Daten Stärken und Schwächen des Unternehmens in Hinblick auf zukünftige digitale Herausforderungen erkannt werden, um anschließend in Zusammenarbeit mit dem Business die richtigen Innovationen anzustoßen.
Nutzen von EAM (Value Management)
Während sich EAM schon jetzt kritisch zum Unternehmenserfolg verhält, ungeahnte Möglichkeiten bietet, Wettbewerbsvorteile erzielt und Produktivitätssteigerung bedeutet, so kann dies in Zukunft noch verstärkt werden. Die genannten Nutzenfaktoren bedürfen für jedes Unternehmen in den jeweiligen Domänen einer kontinuierlichen Überprüfung, inwiefern diese im Anwendungsfall realisierbar erscheinen.
Wesentliches Ziel von EAM ist es, durch einen ganzheitlichen Blick die Unternehmensarchitektur in allen wesentlichen Teilbereichen (Domänen) transparenter zu machen. Dadurch lassen sich u. a. folgende Vorteile erzielen:
- bessere Planbarkeit und Steuerbarkeit des Unternehmens (etwa der Business-IT-Landschaft),
- hochwertigere Produkte und Services und
- höhere Cyber-Security sowie Gewährleistung von Compliance-Konformität.
Fazit
Ziel eines ganzheitlich ausgerichteten Architekturmanagements (EAM) ist es, durch einen umfassenden Blick die Unternehmensarchitektur in allen wesentlichen Teilbereichen (Domänen) überschaubarer und „zukunftsfest“ zu machen. Enterprise IT-Architekten wird mit den Methoden und Instrumenten des EAM ein strategischer, konzeptioneller und organisatorischer Rahmen für den Entwurf und die Ausgestaltung der Business-IT-Landschaft zur Verfügung gestellt. Die sich dabei ergebenden Deliverables können sowohl für den Business-Bereich als auch für das IT-Management einen erheblichen Zusatznutzen (= Business Value) bedeuten.