aus dem Netzwerk Insider Mai 2024
Ein Leben ohne Internet, Handy oder Computer? Das ist für die meisten Menschen heute nicht mehr vorstellbar! Während in den 1980er Jahren viele Geräte aus „Zurück in die Zukunft“ noch als utopische Visionen galten, sind sie heute längst real. Diese Entwicklung sagt alles über den unfassbaren technologischen Fortschritt der vergangenen vier Jahrzehnte aus.
Dr. Behrooz Moayeri gehört der Geschäftsleitung der ComConsult GmbH an und ist seit 1988 bei ComConsult beschäftigt. In über 35 Berufsjahren hat er hunderte Organisationen und deren IT kennengelernt. In diesem Interview erzählt er davon, welche historischen Meilensteine er in der Entwicklung der IT miterlebt hat.
Behrooz, deine Hausarbeiten in deiner Schulzeit bis Anfang der 1980er Jahre hast du noch handgeschrieben. Noch während deines Studiums in den 1980er Jahren wurde mit Büchern statt mit Suchmaschinen recherchiert. Wie hast du die Umstellung auf elektronische Datenverarbeitung damals erlebt?
Ich gehörte nicht zu den Pionieren unter den Jugendlichen, die bereits in den 70er Jahren mit den ersten Computern von Commodore & Co. experimentiert haben. Erst während des Studiums habe ich für die Studienarbeit, die Diplomarbeit und die Dissertation intensiv mit Computern gearbeitet, zunächst mit Unix-Rechnern, dann mit DOS und Windows. Heute fangen bereits kleine Kinder an, Computer der Kategorie Handy und Tablet zu nutzen, ohne wissen zu müssen, wie sie funktionieren. Bei mir war das anders: Ich habe zunächst viel Theoretisches über Computer gelernt, bevor ich mit ihnen gearbeitet habe. Ich habe sogar in einer Klausur Assembler-Code für IBM-Großrechner in Maschinensprache übersetzt, alles auf Papier. Bei der Studien-, Diplom- und Doktorarbeit habe ich zweierlei intensive Arbeit auf Computern durchgeführt: Programmieren und Textverarbeitung für die Ausarbeitung der Arbeiten. Das Programmieren endete bei mir mit der Hochschulzeit. Bei ComConsult sind dafür andere computergestützte Arbeiten dazugekommen. Ich fing bei ComConsult im Bereich Messen und Analyse an und habe in dem Zuge den Übergang von analogen zu digitalen Messgeräten und Analysatoren miterlebt. Gleichzeitig wurde die Nutzung von E-Mail, zunächst intern und dann extern, immer intensiver. Der nächste Schritt war die Nutzung des World Wide Web zur Informationsbeschaffung, gefolgt von Web-basierenden Suchmaschinen.
Wie sah Ende der 1980er Jahre eine typische IT-Infrastruktur im Unternehmen aus?
Die meisten IT-Umgebungen waren Insel-Lösungen und nicht miteinander vernetzt. Einige Organisationen hatten Großrechner und Terminals für den Zugriff darauf. In der Industrie gab es jedoch die ersten vernetzten Anlagen. ComConsult bekam in den ersten Jahren nach der Gründung die meisten Aufträge aus der Industrie. Dabei ging es zum Beispiel darum, Industriesteuerungen mit Computern zu vernetzen. ComConsult selbst gehörte zu den Pionieren des digitalisierten Büros. Wir hatten schon File-Server, als diese in den meisten Firmen unbekannt waren. Bei uns war die Hauptapplikation die Textverarbeitung. Einige Arbeitsplätze arbeiteten mit Grafik-Programmen. Ende der 1980er Jahre hatte ComConsult noch eine Abteilung für Software-Entwicklung. Die Ausstattung für Programmierung sah natürlich ganz anders als heute aus. Und dann gab es noch meinen damaligen Aufgabenschwerpunkt, die Messtechnik und Analyse. Ich hatte die teuersten Werkzeuge, zum Beispiel Logik-Analysatoren, Protokoll-Analysatoren und Analog-Recorder mit der damals neuen Möglichkeit der digitalen Speicherung der Messergebnisse.
Der 30. April 1993 war ein historisches Datum: Der britische Wissenschaftler Tim Berners-Lee stellte die Technologie für das World Wide Web kostenfrei für die gesamte Welt zur Verfügung. Internetfähige Rechner konnten nun miteinander kommunizieren und Daten austauschen. Welche Auswirkungen hatte das in dieser Zeit auf deine Arbeit bei ComConsult?
Es gibt Sätze und Äußerungen, die man auch nach Jahrzehnten nicht vergisst. In den 1990er Jahren habe ich die Mitschrift eines Gesprächs gelesen, an dem neben anderen Berühmtheiten eine Internet-Pionierin teilgenommen hatte. Es ging unter anderem um den Ausblick auf Künstliche Intelligenz. Die besagte Pionierin meinte: „Die KI ist in der Gestalt des Webs schon da.“ Nun, die heute geschärfte KI-Definition mit den Elementen Big Data, mathematische Modelle und maschinelles Lernen gab es damals noch nicht. Den Satz würden daher die meisten heutigen Experten nicht so stehen lassen. Unabhängig davon konnte ich die Äußerung sehr gut nachvollziehen – so signifikant waren die Auswirkungen des Webs auf meine Arbeit. ComConsult lebt nun mal von Recherchen, Anreicherung und Vermittlung von Information. Der Rechercheteil wurde mit dem Web revolutioniert. Vor dem Web und insbesondere vor der Verbreitung von Suchmaschinen haben wir Information fast immer über Offline-Kanäle beschafft, vor allem Print-Medien wie Bücher, Zeitschriften, gedruckte Datenblätter usw. Wir haben uns bei ComConsult fortlaufend bemüht, dieses Quellenmaterial an zentraler Stelle zu sammeln und dem ganzen Personal zugänglich zu machen. Sich nicht daran zu halten wurde als unkollegial empfunden. Das war ein Konfliktpotenzial. Suche im Web geht heute schneller als der Griff ins Bücherregal hinter mir.
Anfang der 1990er Jahre ging das erste private Mobilfunk-Netz in Deutschland in Betrieb. Die ersten D2-Mobiltelefone waren “Knochen“, schwer und unhandlich, und kosteten ein kleines Vermögen. Wie begann der Einsatz von Mobiltelefonen bei ComConsult und wie entwickelte es sich weiter?
Zunächst gab es nur die Autotelefone der Geschäftsleitung. Die Telefone waren fester Bestandteil der Fahrzeuge. Ein damaliger Kollege, der später das Auto übernahm, sagte, sein Handy-Netzteil verbrauche 15 Liter auf 100 km. Die Geschäftsleitung war es auch, die als Erste für eigene Zwecke die mobilen Geräte der Generation Nokia Communicator kaufte. Als die monatlichen Kosten für Mobiltelefone unter 100 Mark fielen, wurden zunächst die Personen damit ausgestattet, die viel unterwegs waren. Das Mobiltelefon war wie das Auto eine begehrte Ausstattung. Ich habe in den 1990er Jahren Ericsson- und Nokia-Telefone genutzt, bevor ich ein HTC-Telefon mit E-Mail-Client und Browser bekam. Das war lange vor der Markteinführung von Apple iPhone.
Als es 1995 erstmals gelang, Sprache auch über das Internet-Protokoll zu übertragen, war von Voice over IP im heutigen Sinne noch keine Rede. Ein Highlight auf dem Netzwerk-Redesign-Forum im Jahr 2000 war ein Erfahrungsbericht, in dem ComConsult die Ergebnisse des Praxis-Einsatzes von IP-Telefonie als Ersatz für die lokale Nebenstellenanlage vorstellte. Welche Projekterfahrungen hatte ComConsult gemacht?
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde mir klar, dass das Internet zu DEM Netz schlechthin wird, d. h. zum Netz für jegliche Datenübertragung einschließlich der Echtzeitübertragung von Sprache. Es gab damals einige Start-up-Firmen, die sich auf VoIP spezialisierten, darunter die 1997 gegründete Firma Selsius, die ein Jahr später von Cisco übernommen wurde. Wir haben bereits Tests mit der Version 2 des Selsius-Call-Managers durchgeführt, damals noch mit den hellgrauen Telefonen. Die erfolgreichen Tests haben mich auf die Idee gebracht, dass wir für das neue ComConsult-Gebäude, in dem wir immer noch sitzen, keine klassische Telefonanlage mehr kaufen sollten, sondern einen IP-basierenden Server mit angeschlossenen IP-Telefonen. Zum Leidwesen meines Mitgesellschafters Thomas Simon habe ich mich für die Beschaffung der teureren IP-Anlage eingesetzt mit dem Argument, dass ComConsult zum VoIP-Vorreiter werden sollte. Die tatsächlich beschaffte Anlage kam dann in der Software-Version 3 zu uns. Von den erfolgreichen Tests, jedoch auch von den kleinen Problemen, haben wir dann auf dem Forum berichtet. Die Cisco-Telefone haben wir jahrelang genutzt, später sogar nicht mehr mit dem Cisco Call Manager, sondern mit Asterisk als Telefon-Server.
Wie hat sich ComConsult auf das Jahr-2000-Problem vorbereitet?
Ehrliche Antwort: Wir haben keinen hohen Aufwand investiert, was unsere eigene IT-Infrastruktur betraf. Unser IT-Betrieb hat einige Vorklärungen bezüglich der von uns damals genutzten Hardware und Software durchgeführt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass nichts zu befürchten war. Dies hat sich auch bewahrheitet. Die Y2K-Panik hatte bei unseren Kunden zwar den positiven Effekt, dass antiquierte Komponenten ersetzt wurden, jedoch den negativen Effekt, dass in manchen Organisationen die Vorkehrungen mehr Nachteile als Vorteile hatten. Bei einem Industrieunternehmen hat man trotz der Warnungen von einigen der Beteiligten fast alle Server am Abend des 31.12.1999 heruntergefahren, obwohl die Meldungen aus Ostasien zeigten, dass diese Maßnahme nicht erforderlich war. Beim Wiederhochfahren der Systeme gab es eine nicht vernachlässigbare Zahl von Netzteildefekten.
Mit der Gründung der Cloud-Plattform Amazon Web Services im Jahr 2002 entstand das Cloud Computing, wie wir es heute kennen. Schon in dieser Zeit bot ComConsult eine Sonderveranstaltung zu diesem Thema an, die damals auf wenig Resonanz stieß, denn es sollte noch bis in das nächste Jahrzehnt dauern, bis sich das Vertrauen in diese neue Technologie bei den Endnutzern festigte. Wie sind deine Erfahrungen dazu?
Die ComConsult Akademie hat sich sehr früh mit dem Thema befasst und auch einige der eigenen Anwendungen in die Cloud verlagert. Wir gehörten in Deutschland damit eher zu den sogenannten Early Adopters. Die meisten unserer Kunden haben sich erst in den letzten Jahren des 2010er Jahrzehnts dem Cloud Computing geöffnet. Für uns war eines der größten Cloud-Projekte die Migration der Web-Proxy-Instanzen eines großen Kunden in eine Web Security Cloud. Das fing 2016 mit einem Proof of Concept an. Seit 2016 begleiten wird den Kunden auch im Tagesbetrieb der Umgebung. Bei den meisten Kunden überwogen lange Zeit die Bedenken gegenüber Cloud Computing. In einigen Firmen war das Management sehr Cloud-affin und hat eine Cloud-First- oder gar Cloud-Only-Strategie ausgerufen. Selbst in solchen Firmen gestaltet sich jedoch die Umstellung auf die Cloud sehr zäh. Neben Sicherheits- und Datenschutz-Hindernissen ist auch der Umstand zu berücksichtigen, dass eine simple Verlagerung von Applikationen in die Cloud nicht möglich oder nicht wirtschaftlich ist. Es ist wesentlich schwieriger, eine Legacy-Anwendung in die Cloud zu verlagern, als eine neue Anwendung in der Cloud und mit Cloud-Mitteln zu entwickeln. Ein gewisser Dammbruch kam mit der Pandemie. Teams, Zoom, Webex, Goto Meeting etc. wurden über Nacht lebenswichtig, alles Cloud-basierende Anwendungen. Ferner hat Microsoft mit Office 365 und später Microsoft 365 viele Kunden regelrecht in die Cloud getrieben.
Im neuen Jahrtausend nahm die Digitalisierung volle Fahrt auf. Was waren aus deiner Sicht in dieser Dekade die wichtigsten Entwicklungen?
In den 2010er Jahren ging es zunächst mit dem Schlagwort Internet of Things (IoT) und dann mit Industrie 4.0 los. Da ComConsult historisch in Industrieumgebungen verwurzelt ist, haben wir in 2014 einen Mitarbeiter eingestellt, der das Competence Center IoT aufbauen sollte. Das hat sich als zu früh erwiesen. Anders als die meisten vermutet haben, erfasste die neue Digitalisierungswelle die Bürogebäude stärker als die Industriehallen, die mit der Vernetzung bereits seit den 1980er Jahren Vorreiter waren. Unser jetzt sehr erfolgreiches Competence Center Smart Technologies kam daher mit dem Schwerpunkt Smart Commercial Buildings genau zur richtigen Zeit. Anders als manche andere neue Innovation der vergangenen Jahrzehnte war bei der jetzigen Digitalisierungswelle von Anfang an klar, dass Security by Design unerlässlich ist. Das war zugleich ein Vorteil für ComConsult, die bereits seit den 1990er Jahren Informationssicherheit als Schwerpunkt etabliert hat.
Die 2010er Jahre waren eine Phase des Ausbaus und der Umsetzung neuer Technologien. Techniken, die schon Anfang der 2000er Jahre angekündigt wurden, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht umsetzbar waren, wurden in den 2010ern Realität. Welche technologischen Neuerungen haben dieses Jahrzehnt geprägt?
Neben den bereits genannten Neuerungen Cloud und IoT ist natürlich die Mobilität zu nennen. Auch wenn es Smartphones bereits lange vor dem iPhone gab und das iPhone auch schon in den 2000er Jahren debütierte, hat der Mobilitätstrend die meisten Firmen in den 2010er Jahren voll erfasst. Erst im letzten Jahrzehnt wurden Smartphones und Tablets fester Bestandteil der IT-Umgebung der meisten Organisationen. Verbunden mit diesem Trend war die Aufhebung der scharfen Trennung zwischen internen Netzen der Organisationen und dem Internet. Ich würde nicht so weit gehen zu behaupten, dass die internen Netze irgendwann völlig verschwinden. Jedoch erleben wir seit den 2010er Jahren einen anhaltenden Trend der Verlagerung der Kommunikation ins Internet. Dazu haben vor allem Cloud Computing und Mobile Computing beigetragen.
Die Informationstechnologie hat inzwischen eine wichtige strategische Rolle im Unternehmen übernommen. Organisationen müssen heute bereit sein, die IT-Transformation in ihre Betriebsabläufe einzubeziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wo siehst du die Trends der Zukunft?
Als ich noch Berufsanfänger war, war der einzige Bereich, in dem ein Netzausfall große Schäden verursacht hat, die Fabrik. 35 Jahre später gilt das für das gesamte Arbeitsleben, ja sogar für das Leben schlechthin, zumindest bei den Digital Natives. Vernetzt zu sein, um auf Informationen zuzugreifen, ist heute vergleichbar mit dem Anschluss an Energieversorgung, Straßen, sauberes Wasser und das Abwassersystem. Dabei steht uns die Digitalisierung vieler Abläufe noch bevor. Bedenklich ist die Schere zwischen den durch die fortschreitende Digitalisierung entstehenden, immer mehr werdenden Aufgaben und den verfügbaren personellen Ressourcen für die Aufrechterhaltung der digitalen Welt. Wenn die Digitalisierung ins Stocken gerät, dann dadurch. IT-Berufe sind offensichtlich nicht attraktiv genug, um unter den ohnehin schwierigen Bedingungen des demografischen Wandels die ausreichende Anzahl von jungen Menschen zu begeistern. Viele Probleme sind hausgemacht. Wenn ich sehe, dass ComConsult mit unseren zurzeit ungefähr 90 Beschäftigten in den letzten 25 Jahren mehr junge Menschen in der IT ausgebildet hat als manche Organisation mit 10.000 Beschäftigten, dann kann nur ein Versäumnis vorliegen.