Also worum geht es? Die Diskussion wurde in der Beleuchtungstechnik gestartet. Am Anfang haben vor allem Phillips und Cisco in einigen Vorzeigeprojekten das Thema getrieben. Inzwischen springt die gesamte Branche auf den immer schneller fahrenden Zug. Die Grundidee ist, dass moderne LED-Beleuchtungen so wenig Strom brauchen, dass eine Versorgung über PoE möglich ist. Dies gilt schon für die bisherige proprietäre 60W-Variante, die Cisco etwas überteuert anbietet. Es gilt aber noch mehr für die 100W, die wir in Zukunft als internationalen Standard bekommen werden.
Aber warum sollte man das machen, warum nicht einfach wie bisher ein Stromkabel zur Lampe bringen? Nun, die Motivation kommt aus der Kombination aus Strom und Kommunikation in einem Kabel. Mit PoE bringe ich eben nicht nur Gleichstrom zur Lampe, sondern auch den Netzwerk-Anschluss. Und dieser betrifft nicht nur die Steuerung der Beleuchtung, sondern vor allem auch die Idee, dass Lampen zum generellen Träger von Intelligenz und Sensorik werden können. Damit werden Anwesenheitssensoren integriert, WLAN-Access Points, Temperaturfühler und was immer sonst als Intelligenz gewünscht wird.
Und warum sollte diese Idee bei der Beleuchtung halt machen? Gilt diese Überlegung der Kombination aus Strom und Kommunikation nicht für viele Orte und Technologien im Gebäude der Zukunft?
Das Konzept hinter dieser ganzen Diskussion ist, dass das Gebäude der Zukunft dem Benutzer in Abhängigkeit von dem jeweiligen Ort die Möglichkeit bietet, diesen Ort nach seinen Wünschen zu gestalten. Die Annahme dahinter: zufriedene Mitarbeiter sind motivierte und effiziente Mitarbeiter. Effiziente Mitarbeiter motivieren höhere Mieten und machen Gebäude im Markt attraktiver. Soweit die Theorie. Allerdings gibt es herausragende Modellprojekte, die einem ernsthaft zu denken geben. Dazu gehört das Bloomberg-Gebäude in London. Die Wirtschaftlichkeit solcher extremen Gebäude muss man im Moment vermutlich noch in Frage stellen, aber sie zeigen eine Richtung auf. Und sie erlauben einen Proof-of-Concept im Sinne der Bewertung einer Verbindung zwischen Gebäude, Zufriedenheit und Effizienz. Die Psychologie hinter einigen dieser Konzepte existiert, ist aber umstritten. Dazu gehört die Annahme, dass ein bewusst erzeugtes Chaos die Kreativität steigert (positiv denkend würde man das Wort Chaos durch Vibrance ersetzen). Die Kernfrage ist: Kann man Vibrance schaffen und trotzdem eine Konzentration am Arbeitsplatz ermöglichen ohne die Störeinflüsse aus der Umgebung? Und genau hier setzt das Bloomberg-Gebäude an. Es schafft sehr offene Flächen und viel Interaktion, liefert aber gleichzeitig so etwas wie akustische Privatheit. Aber zurück zu PoE.
Die Basis zur Umsetzung individueller Zufriedenheit sind Apps, die auf den Smartphones von Mitarbeitern und Besuchern aktiv sind. Beispiele dafür sind:
- Die individuelle Gestaltung der Beleuchtung am Arbeitsplatz
- Die individuelle Beeinflussung von Klimatisierung
- Eine Integration mit der Medientechnik zur schnellen Buchung und Findung freier Besprechungsräume
- Die Wegführung von Besuchern hin zu ihrem Ziel im Gebäude
Gleichzeitig geht man davon aus, dass die Nutzung des Gebäudes der Zukunft dynamischer ist. Räume oder Flächen und ihre Nutzung ändern sich über die Zeit. Und man möchte im Sinne einer optimalen Ausnutzung des Gebäudes bei gleichzeitiger Reduzierung der Betriebskosten analysieren können, ob die aktuelle Nutzung des Gebäudes der angestrebten Flächennutzung entspricht.
Damit sind wir bei Gebäude-Leitstandtechnologien, die dem Betreiber alle möglichen Informationen über die aktuelle Nutzung, mögliche Verbesserungen und mögliche Änderungen von Betriebsparametern anbieten. Diese Technologien haben sich als überzeugende Motivation für Investoren entwickelt. Zwar befinden wir uns in einer Frühphase solcher Leitstände, aber es ist erkennbar, dass diese zum Standard für moderne Gebäude werden. Und diese Leitstände und die Analyse der Nutzung bzw. die Optimierung von Gebäuden geht nur über eine deutlich ausgeweitete Sensorik. Und Sensoren müssen nun mal verbunden werden.
Soweit zur Motivation und damit zurück zu PoE. Aus dieser Startidee der Nutzung von PoE für Beleuchtung ist nun ein Flächenbrand geworden. Warum nicht aus der Idee ein Gesamtkonzept machen und PoE für alles nutzen, was mit maximal 100 W Gleichstrom betrieben werden kann? Dies kann Medientechnik sein, die Kaffeemaschine, die Kasse in der Cafeteria, Computer, jede Form von Schalter, Zugangstechnik, … der Gestaltung sind hier fast keine Grenzen gesetzt. Und in jedem Fall entsteht ein weiterer möglicher Installationsort für Sensorik und somit ein Zugewinn an Information.
Konsequenz: PoE wird zur flächendeckenden Gleichstromversorgung für Gebäude!
Also alles wunderbar, oder gibt es warnende Stimmen?
Als erstes wäre da der Preis pro Port zu nennen. Die von Cisco und Phillips betriebene Lösung kommt nach Liste zu Portpreisen von ca. 120 USD. Diverse Wirtschaftlichkeitsberechnungen für amerikanische Projekte gehen aber eher davon aus, dass ein Portpreis von unter 50 USD notwendig sein wird, damit die Rechnung aufgeht. Zum einen wird Cisco die üblichen Projektrabatte geben, zum anderen kommt der neue 100W Standard ja gerade erst auf den Markt. Und er wird zu einem massiven Verfall der Portpreise führen. Der bisherige Preis basiert ja im wesentlichen darauf, dass Cisco hier eine proprietäre 60W-Technik teuer verkauft.
Aber natürlich kann nicht jeder beliebige PoE-Switch eingesetzt werden. Die Switches müssen mit einer geeigneten Montagetechnik kommen und vor allem bei einem Reboot die Stromversorgung aufrecht erhalten. Auch bei einem generellen Stromausfall wird man erwarten, dass bei Wiederverfügbarkeit des Stroms auch PoE sofort wieder da ist und nicht die gesamte Bootzeit des Switches abgewartet werden muss.
PoE-Switches und die damit geschaffene Intelligenz im Feld dürfen zudem nicht zu einem Angriffsziel für Hacker und Erpresser werden. Von daher müssen sie Teil eines Gesamtkonzeptes für Sicherheit sein. In jedem Fall muss die Auswahl der angeschlossenen Produkte eingeschränkt werden auf Produkte, die speziellen Sicherheits-Standards entsprechen. Gleiches wird für die PoE-Switches selber gelten, die ja eventuell in der Decke leicht zugänglich sind. Damit fallen schon mal die ganzen billigen asiatischen PoE-Produkte in die Mülltonne. Das Gebäude der Zukunft braucht ein lückenloses und durchgängiges Sicherheitskonzept vom Sensor bis zur Applikation bzw dem Leitstand.
Und dann ist da natürlich das Kabel und damit das Entsetzen der Netzwerker über diesen Missbrauch von Datenkabeln. Beim Kabel sind zwei Faktoren zu beachten:
- Die mögliche Erwärmung des Kabels speziell in größeren Bündeln
- Der Einfluss der Erwärmung auf Übertragungseigenschaften, speziell, wenn maximal lange Kabel eingesetzt werden sollen und vielleicht sogar etwas darüber hinaus gegangen werden soll (kann man ja berechnen)
Hier ist bei aller Komplexität der Auswahl mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass in den meisten Fällen die in Europa verwendeten Kabel für eine 100W-Versorgung ohne Einschränkungen geeignet sind. Das muss im Detail mehr analysiert werden, was wir auf der Sommerschule und in unserem Kabelseminar machen. Es sind ein paar Tücken und auch neue Standards zu beachten. Aber es ist lösbar. Gleiches gilt im Prinzip für die eingesetzten Stecksysteme, auch sind aber in jedem Fall geeignete Kriterien zu beachten.
Und damit sind wir dann beim eigentlichen Problem. Viele der Nutzungsformen, die wir hier mit der PoE-Versorgung ansprechen, liegen in der Hoheit der technischen Gebäudeausstattung TGA. Die Netzplanung und die Bereitstellung der Switches ist aber der IT zuzurechnen. Warum sollte TGA das nicht selber machen? Nun, weil zum Beispiel die Integration in ein Sicherheitskonzept erforderlich ist und komplexe Themen wie NAC oder Zonierung betrachtet werden müssen. Auch arbeiten die modernen Leitstandkonzepte fast immer mit Cloud-Lösungen. Dies erfordert eine Anbindung des Smart-Buildings an die Cloud. Spätestens hier sollte die IT-Abteilung die Hoheit in dem Sinne haben, dass sie die Konfiguration durchführt. Die Installationsarbeiten selber können dann nach Abstimmung von der TGA gemacht werden.
Hatten wir diese Diskussion nicht schon einmal vor 15 Jahren, als die TK durch UC abgelöst wurde? Ja, hatten wir. Und auch in diesem Fall wird es auf Dauer nur eine sinnvolle Lösung geben: TGA und IT müssen zusammenwachsen, ob es gefällt oder nicht. Spätestens bei den ersten Sicherheits-Desastern wird dies auch in jedem Fall so kommen. Wer dabei die Führung haben wird, muss individuell entschieden werden. Die Gesamtinvestitionssumme entwickelt sich ggf. in Richtung TGA, eventuell abhängig von der Zuordnung der Medientechnik im Gebäude, die immer umfangreicher und damit teurer wird.
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