Manchmal hat man das Glück, auch auf der Arbeit seiner Leidenschaft frönen zu dürfen. So erging es mir neulich: Ich durfte zwei Tage lang dienstlich zur See fahren. Wie das? Was macht ein IT-Berater auf dem Meer?
Einer unserer Kunden plant derzeit einen Windpark in der Ostsee. Auf einer Fläche von ca. 18 mal 8 km² sollen zukünftig mehr als 60 Turbinen installiert werden, die insgesamt etwa ein Gigawatt Leistung ins Stromnetz einspeisen werden. Es gibt bereits eine Karte aller Windräder und der sie verbindenden Verkabelungs-Infrastruktur. Nein, die haben nicht wir geplant. Für uns ging es vielmehr um das Thema Mobilfunk.
Der Betreiber möchte sicherstellen, dass Mitarbeiter im Notfall Hilfe über öffentlichen Mobilfunk rufen können. Das muss insbesondere auch möglich sein, wenn sich der Mitarbeiter auf der unteren Plattform eines Windrades aufhält, die sich ca. 10 Meter über der Wasseroberfläche befindet. Diesen Nachweis sollten wir für jede der geplanten Windrad-Positionen erbringen.
Dafür brauchten wir ein passendes Fahrzeug. Das konnte unser Kunde bei einem Unternehmen für Seevermessung anmieten. Das Boot ist ein Aluminium-Bau mit ca. 10 Metern Länge und 7 Tonnen Wasserverdrängung. Angetrieben wird es von zwei 6-Zylinder-Dieseln mit je 230 kW, die jeweils auf einen Wasserstrahlantrieb wirken. Mit anderen Worten: eine Nussschale mit „Doppel-Wumms“. Als Besatzung waren ein Kapitän sowie ein Bootsmann an Bord, die uns kompetent und sicher navigiert haben.
Am Hafen angekommen, durfte ich zunächst unser Messequipment an Bord verstauen und einrichten. Es bestand aus zwei Systemen:
- Ein passiver Mobilfunkscanner des Typs Rohde & Schwarz TSMA6B [1]: Das Gehäuse dieses Geräts umfasst einen leistungsfähigen Mini-PC neben einem Empfangsteil für den Frequenzbereich 350 MHz bis 6 GHz (offensichtlich ein Software Defined Radio, SDR). Ein Empfangsteil für die gängigen Navigationssatelliten ist ebenso enthalten. Er dient sowohl der Aufzeichnung von Positionsdaten als auch zur Zeitsynchronisation.
Auf dem PC werkelt ein handelsübliches Windows samt Mess-Software. Die Bedienung erfolgt in unserem Setup über ein ebenfalls handelsübliches Android-Tablet, das mit der Software QualiPoc ausgestattet ist. Es verbindet sich mittels Bluetooth mit dem TSMA6B.
Für den passiven Scanner hatte ich eine Breitbandantenne für den Frequenzbereich 900 MHz bis 3,8 GHz eingesteckt. Die Antenne hat einen starken Magnetfuß; eigentlich ideal für die Montage auf einem Schiff – dachte ich. Nur auf Aluminium (siehe oben) haften Magneten leider nicht wirklich gut. So mussten einige Kabelbinder dafür herhalten, die Antenne im Mast des Bootes zu fixieren. Ich habe sie über ein dämpfungsarmes Koaxialkabel mit dem Empfängereingang des Scanners innen im Boot verbunden. Die frequenzabhängige Dämpfung des Kabels hatte ich vorab mit einem Netzwerkanalysator ausgemessen, um die Messwerte später entsprechend berichtigen zu können.
- Ein aktiver Mobilfunkscanner des Typs QualiPoc Android von Rohde & Schwarz [2]: Dabei handelt es sich eigentlich um ein handelsübliches Smartphone. Jedoch wurden Betriebssystem und Treiber vom Hersteller derart angepasst, dass sich zahlreiche Parameter aus dem Basisband-Chip des Smartphones auslesen lassen, die normalerweise dem Anwender verborgen bleiben. Der Anwender erhält mit der gleichnamigen Software Zugriff auf diese Parameter.
Der passive Scanner – wie der Name impliziert – sendet nicht selbst. Er kann sich daher nicht in Mobilfunknetze einbuchen. Subscriber Identity Modules (SIM) sind dementsprechend zur Messung nicht vonnöten. Stattdessen zeigt er an, in welchen Frequenzbändern welche Mobilfunkzellen welcher Technik empfangen werden. Ich sehe also gleichzeitig alle Mobilfunkzellen aller Provider, in die sich ein Mobiltelefon grundsätzlich einbuchen könnte. Einen Screenshot hierzu finden Sie im Artikel meines Kollegen Frederik Stückemann über Messen und Simulieren von Mobilfunk [3].
Zum einen zeigt der passive Scanner Informationen über die Mobilfunkzelle an. Das sind beispielsweise Länder und Netzwerk-Code (MCC/MNC), anhand derer sich der Provider erkennen lässt. Zum anderen ermittelt er, mit welcher Stärke und Qualität die sogenannten Referenz-Signale empfangen wurden. Daraus können wir letztlich ableiten, ob man eine Chance hätte, über die entsprechende Mobilfunkzelle zu telefonieren oder Daten auszutauschen. Näheres hierzu finden Sie im erwähnten Artikel von Herrn Stückemann [3].
Der aktive Scanner bucht sich ins Mobilfunknetz ein und nutzt dessen Dienste. Zu diesem Zweck hatten wir vorab ein Script erstellt, das mittels Up- und Downloads die verfügbare Kapazität und Antwortzeit ermittelte. Überdies startete das Script Telefonanrufe, um die Sprachqualität festzustellen.
Dieses Script musste ich an jeder Windrad-Position dreimal ablaufen lassen, einmal für jeden der drei großen deutschen Provider. Dafür hatten wir das QualiPoc-Smartphone mit drei SIMs ausgestattet, davon zwei embedded SIMs (eSIMs) und eine physische. Ich musste mit dem Smartphone nach außen treten und abwarten, bis das Script durchgelaufen war. Danach war das SIM zu wechseln und sicherzustellen, dass sich das Gerät ins neue Mobilfunknetz eingebucht hatte. Nun wieder nach draußen treten und warten. Und natürlich breitbeinig stehen und sich mit der anderen Hand gut festhalten („Eine Hand für den Mann, eine Hand für das Smartphone“). Eine wahrlich herausfordernde Aufgabe, weil diese Nussschale doch ordentlich schwankte. Selbstverständlich hatte ich das teure Smartphone zuvor mit etwas Takelgarn angebändselt.
Was ist nun dabei herausgekommen? Interessanterweise lässt sich ein Smartphone auch in der Ostsee erstaunlich gut einsetzen. Nicht zufällig empfiehlt die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) allen Wassersportlern die Installation ihrer App „SafeTrx“ [4]. Vielen Hobby-Skippern ist offensichtlich die Bedienung des Smartphones vertrauter als das Absetzen eines Seenotrufs über Funk.
Wie dem auch sei, vor allem in den südlichen Regionen des Windparks – hier war die Küste noch zu sehen – war Telefonie und LTE-Datentransfer mit allen drei Providern möglich. Im nördlichen Bereich – wo sich nur noch die Kreidefelsen von Møn (Dänemark) sowie der Dornbusch (Hiddensee) vom Horizont abhoben – wurde es bei einem Provider schwierig. Die anderen beiden erlaubten immerhin noch Telefonie und langsamen Datenaustausch über EDGE.
Wie kann es sein, dass auch in so großer Entfernung vom Mobilfunkmast noch Kommunikation möglich ist? Hierzu schauen wir kurz auf die beiden Parameter RSRP (Reference Signal Received Power) und RSRQ (Reference Signal Received Quality). Die RSRP lag bei meinen Tests auf See oftmals unterhalb von -120 dBm. Glaubt man der Tabelle 1 im Artikel von Herrn Stückemann [3], ist das so „unzureichend“, dass eigentlich kein Empfang möglich sein sollte.
Dagegen erreichten die RSRQ-Werte oftmals -8 bis -10 dBm, besser als in vielen Mobilfunkzellen an Land. Offensichtlich gibt es also auf See so wenig Störungen oder Interferenzen, dass trotz geringer Feldstärke eine hohe Signalqualität erzielt wird. Ein für unseren Kunden sicherlich beruhigendes Ergebnis.
Verweise
[3] https://www.comconsult.com/messen-und-simulieren-von-mobilfunk-ein-einblick-in-die-moeglichkeiten/