Auslagerung eines Rechenzentrums in die Cloud – eine gute Vorbereitung zahlt sich aus
04.10.22 / mit Martin Egerter sprach Christiane Zweipfennig
aus dem Netzwerk Insider Oktober 2022
Viele Unternehmen und Institutionen versprechen sich Vorteile durch die Nutzung von Clouds. Bei der Entscheidung für die Auslagerung der IT-Anwendungen in die Cloud wird oft nicht bedacht, wie viel Aufwand dieses Vorhaben bedeuten kann. Von der Reorganisation der internen Prozesse bis zur Modernisierung der IT – so ein Umzug ist nicht selten ein Großprojekt, in dem viel Fehlerpotential steckt und für das Know-how und eine gründliche Vorbereitung gefordert ist.
Martin Egerter ist seit zwölf Jahren bei ComConsult im Competence Center Kommunikationslösungen als Senior-Berater mit den Schwerpunkten Ausschreibungen und IT-Dienstleistungen zu den Themen Weitverkehrsnetze, Cloud-Dienste und Telekommunikationslösungen beschäftigt.
In diesem Interview berichtet er, wie ComConsult für einen Kunden viele über das Unternehmensgelände verteilte Rechenzentren und hunderte IT-Applikationen für den Umzug in die Cloud vorbereitete und dem Kunden zu enormen Kosteneinsparungen verhalf.
Im Jahr 2020 hat ein großes Unternehmen mit vielen Spezialanwendungen ComConsult damit beauftragt, ein Konzept zur Auslagerung des Unternehmens-Rechenzentrums in die Cloud zu erstellen. Warum sollte die Standard-IT in die Cloud umziehen?
Der Kunde hat einen riesigen Campus in der Größenordnung von schätzungsweise zehn bis fünfzehn Fußballfeldern. Über dieses gigantische Areal verteilt gab es eine große Menge mehr oder weniger professionell ausgerüsteter RZ-Räume. Diese Räume zu betreiben verschlingt eine Menge Geld. Eines der Hauptziele war es, durch die Konsolidierung und Zentralisierung der IT-Infrastruktur Kosten einzusparen.
Zunächst habt ihr die vorhandene IT-Infrastruktur betrachtet. Wie seid ihr dabei vorgegangen?
Wir haben von dem Kunden eine Liste bekommen, in der über vierhundert Anwendungen aufgeführt waren, von denen ein Teil auch selbst entwickelt war. Zum Beispiel gab es ein Archiv-Ausleihsystem für Materialien wie Notebooks und Bücher. Ebenso gab es ein PC-gestütztes Archivierungsprogramm, das es den hiesigen wie auch ausländischen Zweigstellen ermöglicht, eigenes archivwürdiges Material selbst zu verwalten. Viele dieser Anwendungen waren Spezialanwendungen und wir haben uns jede von ihnen systematisch und im Detail angesehen und jeweils entschieden, ob sie in die Cloud migriert werden kann. Der Kunde hatte AWS als Zielplattform vorgegeben. Wir haben für jede Applikation analysiert, wie sie dort abgebildet werden kann.
Welches Ergebnis hatte die Untersuchung der einzelnen Anwendungen?
Das Ergebnis dieser Untersuchung war, dass wir circa 90 bis 95 Prozent der Applikationen – auch und insbesondere unter Berücksichtigung der Anforderungen an die IT-Security – durchaus in die Cloud verschieben konnten. Wir haben auf dieser Basis knapp 1.100 Server identifiziert, die wir den entsprechenden Cloud-Modellen zuführen konnten.
Neben den Anwendungen aus dem Office-Umfeld haben wir für viele fachabteilungsspezifische Anwendungen eine Cloud-Lösung gefunden. Der Kunde hatte beispielsweise in der Personalabteilung Anwendungen eines IT-Dienstleisters für Gehaltsabrechnungen, Reisekostenabrechnungen etc. On-Premises genutzt. Wir haben festgestellt, dass der IT-Dienstleister auch eine SaaS-Lösung für diese Anwendungen anbietet, die wir näher betrachtet und dann empfohlen haben.
Erfüllte die technische Infrastruktur des Kunden die Voraussetzungen für einen Umzug in die Cloud?
Wenn man einen Service in die Cloud bringt, muss besonderes Augenmerk auf die Benutzerfreundlichkeit und die Benutzerakzeptanz gelegt werden. Wir haben uns aus diesem Grund unter anderem angeschaut, welche Netzanforderungen generell für die Anbindung der Clouds, die wir in Betracht ziehen, gegeben sein müssen, damit ausreichend Bandbreite, das erforderliche Antwortzeitverhalten der einzelnen Applikation und somit die entsprechende Performance vorhanden sind. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass der Kunde an einigen Stellen nachrüsten musste. Hier haben wir verschiedene Ansätze untersucht und eine Lösung erarbeitet.
Die Planung der Cloud-Architektur war sicher sehr komplex.
Auf jeden Fall. Die meisten Anwendungen werden ja nicht isoliert genutzt, sondern kommunizieren miteinander. Wir mussten uns also mit der Frage beschäftigen, wie man die Kommunikationsbeziehungen in der Cloud zwischen den einzelnen Komponenten sicherstellen kann. Auch in der Cloud braucht man eine Netzwerk-Architektur, bei der Sicherheitsaspekte ebenfalls eine große Rolle spielen. Wir haben uns angeschaut, wie die einzelnen Systeme und Software-Komponenten untereinander durch eine cloudbasierte Firewall geschützt werden und wie Angriffe von außen verhindert werden können. Die Sicherheitsmaßnahmen haben wir zusammen mit den Security-Mitarbeitern des Kunden erarbeitet. Die Konzeption und Umsetzung der Cloud-Netzwerkarchitektur fiel nicht in unseren Aufgabenbereich, das übernahm ein darauf spezialisierter Dienstleister.
Welche Applikationen konnten nicht in die Cloud umziehen?
Große Teile der IT, bei denen es sich überwiegend um Echtzeitanwendungen mit extrem hohen technischen Anforderungen an netztechnische Parameter wie zum Beispiel Paketlaufzeiten und Paketverlustraten handelt, kamen für die Auslagerung in die Cloud nicht in Betracht. Für diesen hochkritischen und produktionsrelevanten Bereich haben wir eine Container-Lösung vorgeschlagen, die einerseits die „räumliche Nähe“ dieser Systeme und gleichzeitig die Freischaffung von Räumlichkeiten erlaubt.
Wie kann man sich diese Container-Rechenzentren vorstellen?
Die vorhandenen, über den gesamten Campus verteilten RZ-Flächen sollten abgeschafft werden, um die Räumlichkeiten für Büros und Ähnliches künftig nutzen zu können. Stattdessen sollten die verbliebenen Rechenzentren in Container umgesiedelt werden. Diese Container sind ganz normale Stahlcontainer, wie man sie zum Beispiel vom Bau kennt. Es gibt sie in vielen verschiedenen Ausführungen. Salopp gesprochen kann man sagen: Man holt sich einen solchen Container, stellt ihn auf den Campus, schließt den Strom und das Netzwerk an und schon hat man ein professionell ausgestattetes Rechenzentrum, denn in den Containern ist quasi ab Werk alles vorbereitet, was dafür erforderlich ist – zum Beispiel 19-Zoll-Schränke, Klimatisierung, etc.
Wie hat ComConsult den Umzug in die Container-Rechenzentren geplant?
Wir haben uns angeschaut, welche infrastrukturellen Maßnahmen erforderlich sind, um die Container aufstellen und sinnvoll betreiben zu können und uns unter anderem mit den folgenden Fragen beschäftigt: Welche Anbieter für Container gibt es? Welche Größe müssen die Container haben? Wo können die Container auf dem Campus aufgestellt werden? Wie können wir die physische Sicherheit zum Beispiel durch Überwachungskameras gewährleisten? Was ist für eine optimale Klimatisierung zu beachten? Wie muss die Energieversorgung und Stromzufuhr geplant werden? Hier haben wir aus Redundanzgründen empfohlen, zwei Stromzuführungen zu planen, weil es sich ja, wie schon erwähnt, um produktionsrelevante Systeme handelte und ein Stromausfall fatale Folgen hätte. Eine doppelte Absicherung haben wir aus den gleichen Gründen auch für die netzwerktechnische Anbindung dieser Container empfohlen.
Hat ComConsult den Kunden auch zum Thema Telefonie beraten?
Ja. Der Kunde betrieb On-Premises eine sehr große TK-Anlage. Wir haben empfohlen, auch die Telefonie in die Cloud zu verlagern, zumal eine Marktanalyse ergeben hat, dass die teilweise komplexen Anforderungen an das TK-System auch durch eine Cloud-Lösung abgebildet werden kann. Und das sogar zu niedrigeren Kosten im Vergleich zum Eigenbetrieb einer On-Premises-Lösung.
Die primäre Zielsetzung des Projektes war, Kosten zu reduzieren. Welche Faktoren spielten bei der Berechnung für die Containerkosten eine Rolle?
Wir haben kalkuliert, wie hoch die Kosten für die Anschaffung, die Aufstellung und den Bau der Infrastruktur der Container sind. Dazu kamen Schätzungen für die zu erwartenden Energiekosten.
Wie habt ihr die Kosten für die Cloud-Dienste kalkuliert?
Wir haben für die einzelnen Applikationen abgeschätzt, welche Ressourcen aus der Cloud gebraucht werden und was das monatlich kostet. Es gibt verschiedene Kostenmodelle: beispielsweise zahlt man vorab oder für drei Jahre fix oder on demand. Diese Parameter haben wir durchgespielt, das für den Kunden günstigste Preismodell ermittelt und die Ergebnisse in einer Kostenkalkulation zusammengeführt. Die Erstellung dieser Liste war sehr aufwendig. Damit war ich acht Arbeitstage beschäftigt, ohne Mittagspause (lacht).
Gab es weitere Hebel zur Kostenoptimierung?
Ja. Die auf dem ganzen Campus weit verteilten Räumlichkeiten konnten zurückgebaut werden. Somit wurden auch Stromkosten für die dort bislang installierten Serversysteme, Klimatisierung etc. eingespart. Vieles managed sich ja in der Cloud von alleine, wofür man bis dato entsprechend qualifizierte Mitarbeiter brauchte. Diese bringen nun ihre Expertise in anderen Bereichen der IT ein.
Was sind die grundsätzlichen finanziellen Vorteile eines Cloud-Betriebs?
Generell haben wir festgestellt: Je mehr wir auslagern konnten, umso größer war der Kostenvorteil. Der große Vorzug am Cloud-Betrieb ist, dass die Kosten deutlich kalkulierbarer sind. Es gibt keine laufenden Kosten für Ressourcen, die On-Premises zwar vorgehalten werden müssen, doch kaum oder gar nicht genutzt werden. Cloud-Dienste rechnen nach dem Pay-per-Use-Prinzip ab. Bei diesem verbrauchsbasierten Abrechnungsmodell muss also nur das bezahlt werden, was auch tatsächlich verwendet wird.
Was war das Ergebnis der Kostenkalkulation?
Die Cloud-Betriebskosten beliefen sich nach unserer Schätzung auf 670.000 Euro im Monat. Der Kunde hat uns nicht darüber informiert, wie hoch die Kosten vor Projektstart waren, sodass ich keinen Vergleichswert nennen kann. Er hat uns jedoch signalisiert, dass die Kosten für die Cloud weitaus günstiger waren als die bisherigen On-Premises-Lösungen und er mit unserem Ergebnis sehr zufrieden war. Ich hatte den Eindruck, der Kunde war überrascht, weil er mit einer solchen Einsparung nicht gerechnet hatte.
Was ist dein persönliches Fazit aus diesem Projekt?
Ich habe in diesem Projekt gelernt, dass der Vorbereitungs- und Planungsaufwand für eine Migration in die Cloud nicht zu unterschätzen ist. Das ist übrigens unabhängig davon, für welchen Cloud-Anbieter und welches Cloud-Service-Modell man sich entscheidet. Allen gemein ist, dass unter Berücksichtigung aller Aspekte sehr schnell eine äußerst komplexe Cloud-Architektur entstehen kann. Am Ende hat sich gezeigt, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat.