aus dem Netzwerk Insider März 2025
Im Januar 2025 wurde das Open-Source-Modell DeepSeek-R1 veröffentlicht. Unabhängige Experten für Künstliche Intelligenz (KI) urteilen so, dass DeepSeek-R1 allen bisherigen KI-Systemen wie ChatGPT von OpenAI und Gemini von Google überlegen ist. An den US-amerikanischen Börsen löste DeepSeek-R1 eine Schockwelle aus.
Wer sind die Verlierer?
Am 27.01.2025 machte sich der DeepSeek-R1-Schock wie folgt bemerkbar:
- Der Technologie-Index Nasdaq 100 verlor im vorbörslichen Handel über vier Prozent.
- Zahlreiche Tech-Aktien verloren im vorbörslichen Handel teilweise über zehn Prozent.
- Die Aktien von Siemens Energy, Lieferant von Hardware für KI-Infrastrukturen, brach um mehr als 20 Prozent ein.
- Die Aktie von Nvidia, dem Hersteller von GPU-Chips, die in KI-RZs massiv eingesetzt werden, ging um 14 Prozent zurück.
- ASML, Hersteller von Maschinen für Chip-Hersteller, verlor 10 Prozent des eigenen Marktwertes.
- Microsoft verlor 6 Prozent.
- Arista Networks, dessen Netzkomponenten vor allem in Rechenzentren zum Einsatz kommen, gab um 9,5 Prozent nach.
- Aktien von Pure Storage, Hersteller von Speichersystemen für Rechenzentren, sanken um 9,5 Prozent.
Die obige Liste ist nicht annähernd vollständig.
Worin ist der Schock begründet?
Vor der Veröffentlichung von DeepSeek-R1 gingen sogenannte Analysten davon aus, dass das KI-Rennen schon gelaufen sei. Es galt als ausgemacht, dass die großen US-amerikanischen Firmen, die im KI-Bereich aktiv sind, eine Art Oligopol bilden werden, die auf Jahre den KI-Markt beherrschen würde, ein Oligopol vor allem aus folgenden Unternehmen:
- Open AI (bekannt durch ChatGPT) und mit ihr Microsoft als Hauptaktionär von Open AI
- Nvidia mit ihren Chips für KI
- Alphabet, der Mutterkonzern von Google
Gleich in der ersten Woche seiner zweiten Amtszeit erschien der US-Präsident Donald Trump zusammen mit den Chefs von Open AI, Oracle und dem japanischen Unternehmen SoftBank vor der Presse und kündigte eine Investition der drei Firmen in Höhe von 500 Milliarden an, vor allem in den Bau von großen KI-Rechenzentren. (Sehr zum Missfallen Trumps stänkerte sein eigener Mitarbeiter Elon Musk, der mit X.AI eine eigene KI-Firma besitzt, das mit Trump aufgetretene Dreigespann habe gar nicht das nötige Kleingeld in Höhe von einer halben Billion US-Dollar.)
Nunmehr muss man davon ausgehen, dass viele KI-Aktivitäten rund um die Welt nicht auf KI-Berechnungen in den großen US-Rechenzentren angewiesen sein werden. Daher der Schock.
Open Source ist die Zukunft von KI
Open Source wird seit Jahrzehnten belächelt. In Deutschland wird Open Source fälschlicherweise immer nur mit missglückten Versuchen assoziiert, Alternativen zu Microsoft-Produkten, vor allem Windows und Office, zu nutzen. Man vergisst dabei, dass Open Source die Grundlage von vielem ist, was wir in der IT nutzen:
- Linux, das wichtigste Betriebssystem in Rechenzentren, basiert auf Open Source.
- Die Protokollfamilie TCP/IP ist aus einem nichtkommerziellen Forschungsprojekt hervorgegangen, ist herstellerunabhängig standardisiert und zum größten Teil in Open-Source-Modulen implementiert.
- Gleiches gilt für das HyperText Transport Protocol (HTTP), die Basis des World-Wide Web (WWW).
- Der größte Anteil an Code-Zeilen für innovative Software wird durch Millionen Software-Entwickler erstellt, die in der weltweiten Open-Source-Gemeinde verankert sind.
Es ist daher keine kühne These, wenn behauptet wird, dass Open Source die Zukunft von KI ist.
Was für KI gilt, gilt für die gesamte IT
Es ist verständlich, dass viele Privatpersonen und Unternehmen vor allem leicht zu bedienende und verlässliche IT brauchen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass eine Software funktioniert. IT-Verantwortliche schlafen ruhiger, wenn sie wissen, dass ihre IT von kommerziell agierenden Unternehmen unterstützt und notfalls entstört wird. Daher die verständliche Vorsicht bei Nutzung von Open Source.
Der ruhige Schlaf von IT-Verantwortlichen kann jedoch zum Alptraum ihrer Chefs werden, die vor allem auf Wirtschaftlichkeit bedacht sind, nämlich dann, wenn der freie Wettbewerb zwischen IT-Anbietern zum Monopol oder Oligopol wird. Monopole und Oligopole diktieren Preise. Ich brauche an dieser Stelle nicht die zahlreichen abschreckenden Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit aufzuzählen. Wir wissen alle, dass die Preise vor allem für Software massiv gestiegen sind. Zahlreiche Software-Anbieter haben – wie es harmlos heißt – ihre Lizenzpolitik umgestellt. „Wir stellen unser Lizenzmodell um.“ Wenn Sie diesen Satz von einem Vertriebler hören, achten Sie bitte auf Ihre Taschen!
Was die Hersteller in die Lage versetzt hat, immer aggressiver ihre Kunden auszunehmen, ist die Herausbildung von Quasi-Monopolen in den verschiedenen IT-Bereichen. Die IT einer Organisation besteht aus mehreren funktionalen Bereichen, wobei das Funktionieren der Gesamt-IT mit dem Funktionieren jedes der Teilbereiche steht und fällt. Die IT bleibt stehen, wenn das Netz nicht funktioniert. Keine IT ohne Virtualisierung. Keine IT ohne Endgeräte als menschliche Schnittstelle zur IT. Keine Endgeräte ohne deren Betriebssysteme. Und so weiter und so fort.
Sobald eine Firma den Markt für einen Teilbereich der IT weit vor jeglicher Konkurrenz dominiert, kann und wird sie ihre Stellung für Profitmaximierung nutzen.
Wenn Wettbewerb zwischen kommerziellen Anbietern wegen der sogenannten Marktkonsolidierung nicht mehr funktioniert, kann die Antwort von Kunden nur Wiederherstellung des Wettbewerbs durch Open Source sein.
Wie kann mehr Nutzung von Open Source aussehen?
Gerade die EU und Deutschland brauchen dringend mehr Open Source, um die technologische und kommerzielle Abhängigkeit von den wenigen Herstellern zu reduzieren, die fast durchgängig nichteuropäisch sind. Damit die Open-Source-Strategie, die mittlerweile von einigen öffentlichen Auftraggebern in Deutschland beschlossen ist, funktioniert, müssen bestimmte Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Dazu fällt mir ein:
- Langfristig werden viel mehr IT-Fachkräfte benötigt als wir heute haben, damit der personalintensivere IT-Betrieb mit Open Source möglich wird. Beginnend mit der Schule, fortgesetzt in der Ausbildung, im Studium und in Fortbildung: Investitionen in IT-Fachpersonal lohnen sich für die Volkswirtschaft, doch auch für jedes einzelne Unternehmen.
- Mittelfristig müssen mehr IT-Dienstleister das Potenzial von Services rund um Open Source zum Leben erwecken. Die größtenteils mittelständischen Systemintegratoren müssen den Bedarf der Kunden an Services für Open-Source-Produkte decken.
- Kurzfristig müssen Beschaffungsvorhaben – insbesondere Vergabeverfahren der öffentlichen Hand – Lösungen auf Basis von Open Source zulassen.
Fazit
Der von DeepSeek-R1 ausgelöste Schock zeigt, was nicht nur KI-, sondern IT-Anwender insgesamt wünschen: Unabhängigkeit von Monopolen und Oligopolen.