Wie gut, dass es die Wi-Fi Alliance gibt! Mit ihren Zertifizierungen treibt sie regelmäßig die Produktentwicklung voran, noch lange bevor das IEEE den entsprechenden Standard ratifiziert hat. So auch am 8. Januar dieses Jahres, als sie ihr Zertifizierungsprogramm Wi-Fi CERTIFIED 7™ vorgestellt hat [1]. Immerhin rechnet man bei IEEE noch in diesem Jahr mit einer Verabschiedung des zugrunde liegenden Standards IEEE 802.11be [2]. Die Task Group 11be hat im Dezember 2023 die erforderliche Zustimmung zu ihrem Draft 5.0 erhalten. Das nächsthöhere Gremium (IEEE Standards Association) hat Anfang Februar nur zu 82 % zugestimmt. Es scheint also noch die eine oder andere Änderung geben zu müssen.
Nach “Very High Throughput” (Wi-Fi 5) und “High Efficiency WLAN” (Wi-Fi 6) kommt mit Wi-Fi 7 nun “Extremely High Throughput” (EHT). Wer hätte das gedacht: abermals höherer Durchsatz mit WLAN. Und so sind einige der gewählten Konzepte naheliegend. Mein Kollege Dr. Johannes Dams wusste das im Grunde bereits vorletztes Jahr zu berichten [3]. Fangen wir mit den nahliegenden Lösungen an:
- 320 MHz Kanalbandbreite: Doppelte Bandbreite ergibt doppelten Durchsatz. Das Konzept ist alt, es wurde mit IEEE 802.11n das erste Mal angewandt. Nur: Zum einen bedeutet doppelte Bandbreite auch doppeltes Rauschen beim Empfänger, man muss also näher heran an den Access Point (AP), und zum zweiten haben wir in Europa eh nicht genügend Frequenzen, um auf dieser Basis eine sinnvolle Kanalplanung durchführen zu können. 320 MHz Kanalbandbreite taugen also allenfalls für die Wohnzimmerecke.
- 4096 QAM: Die Quadraturamplitudenmodulation wurde noch einmal aufgebohrt. Pro Zeiteinheit lassen sich somit 20 % mehr Daten übertragen als noch mit Wi-Fi 6, das „nur“ bis zu 1024 QAM unterstützte. Auch dafür braucht es eine hohe Signalstärke am Empfangsort. Die Praktiker wissen, dass in WLANs mit üblicher AP-Dichte meist nicht mehr als die Hälfte des theoretischen Durchsatzes erreicht wird. Oder anders ausgedrückt: Damit hoher Durchsatz auch außerhalb des Wohnzimmers möglich wird, braucht es wesentlich mehr APs, als Sie und wir derzeit installiert haben.
- 512 Compressed Block Ack: Bis zu 512 Pakete (MAC Protocol Data Units, MPDUs) lassen sich auf einmal senden und mit einem einzigen Paket quittieren. Dadurch spart man einen Haufen Wartezeit, Präambel und Header ein. Der Performance-Gewinn ist erheblich, wenn eine Station viele Daten zu versenden hat. Die Idee ist jedoch schon alt; Wi-Fi 6 unterstützte bereits 256 Compressed Block Ack.
- Multiple RUs to a single STA (M-RU): Das Konzept der Resource Units stammt bekanntlich aus Wi-Fi 6. Mehrere Stationen können gleichzeitig adressiert werden, indem man ihnen verschiedene Unterträger der OFDM zuweist. Die Unterträger wurden in Resource Units (RUs) gruppiert. Einer Station wird in Wi-Fi 6 immer genau eine RU vom AP zugewiesen. Das Verfahren ist auch unter der Bezeichnung Orthogonal Frequency Division Multiple Access (OFDMA) bekannt und stammt letztlich aus dem Mobilfunk. M-RU erlaubt es mit Wi-Fi 7, einer Station mehrere RUs flexibel zuzuweisen.
Daneben gibt es jedoch wirklich neue Features in Wi-Fi 7. Sie werden vor allem damit beworben, dass zukünftig Anwendungen aus Industrie und Augmented / Virtual Reality bis hin zu Notruffähigkeit auf Basis von WLAN möglich werden sollen. Sie erinnern sich, das war auch eine wesentliche Werbeaussage bei der Einführung des 5G-Mobilfunks. Ich nenne zwei interessante neue Features von Wi-Fi 7:
- Multi Link Operation (MLO): Eine Station steht über mehrere parallele Kanäle mit dem AP in Verbindung. Da sowohl AP als auch Endgeräte über WLAN-Adapter mit mehreren Radios verfügen, liegt es nahe, diese parallel zu verwenden. MLO erlaubt die gleichzeitige Nutzung jeweils eines Kanals im 2,4-, 5- und 6-GHz-Band. Datenpakete können über mehrere Kanäle aufgeteilt oder redundant übertragen werden. Es soll sogar möglich sein, gleichzeitig zu senden, während mit dem anderen Radio Daten empfangen werden – quasi Full-Duplex auf der Luftschnittstelle. Es ist auch denkbar, den Kanälen unterschiedliche QoS-Profile zuzuweisen. Man könnte z.B. eine Station Massendaten im 5-GHz-Band und Echtzeitdaten auf 6 GHz übertragen lassen.
- Triggered Uplink Access Optimization: Das oben beschriebene Verfahren des OFDMA erfordert, dass der AP die Stationen explizit zur Datenübertragung auffordert („triggert“). Wi-Fi 7 hat zu diesem Zweck den Stream Classification Service (SCS) erdacht. Mittels SCS informiert die Station den AP, in welchem Abstand sie wie viele Daten senden möchte und welche Antwortzeit sie erwartet. Der AP wird daraufhin die Station entsprechend triggern.
Insgesamt klingt das für mich schon recht interessant. So ist der SCS meines Erachtens ein Baustein, der zu einer sinnvollen Nutzung von OFDMA noch fehlte. Und MLO kann sicher die Verlässlichkeit („Reliability“) der WLAN-Übertragung verbessern helfen – um den Preis geringerer Kapazität.
Insgesamt scheint man sich mit Wi-Fi 7 der (vermeintlichen) Konkurrenz 5G annähern zu wollen, insbesondere der 5G-Spielart „Ultra Reliable Low Latency Communication“ (URLLC). Auch dort wird auf Kosten der Kapazität die Verlässlichkeit der Übertragung erhöht. Nur macht man es bei 5G aus meiner Sicht wesentlich wirkungsvoller.
Ich behaupte, WLAN wird in dieser Hinsicht 5G niemals auch nur annähernd das Wasser reichen können. Wir werden in der Praxis immer mit den Altlasten zu kämpfen haben, die eine flächendeckende Umsetzung der tollen neuen Features erfolgreich vereiteln werden. Bezogen auf Wi-Fi 7 ist nicht einmal das 6-GHz-Band eine „grüne Wiese“, denn dort werden sich bereits Endgeräte des Standards Wi-Fi-6e tummeln, die mit MLO und SCS nichts anfangen können.
Und noch einen Geburtsfehler des WLAN hat man bisher nicht heilen können. Es fehlt nach wie vor die enge Verzahnung von Access Points untereinander und mit den Clients, so wie es der Mobilfunk immer schon macht. Stellen Sie sich vor, MLO versetzte einen Client in die Lage, gleichzeitig mit verschiedenen APs kommunizieren zu können. Ein unterbrechungsfreies Handover für mobile Anwendungen ließe sich realisieren. Nur – man bräuchte dafür ein Inter Access Point Protocol (IAPP); bekanntlich ist eine entsprechende Spezifikation bereits vor 20 Jahren gescheitert.
Verstehen Sie mich nicht falsch: WLAN hat seinen Platz! Insbesondere liefert es zusätzliche Übertragungskapazität, die für viele Anwendungen nützlich ist. In Anbetracht der vielen Altlasten bei den WLAN-Endgeräten schätze ich den Nutzen von Wi-Fi 7 jedoch als gering ein. Wer kann es sich schon leisten, über die Access Points hinaus auch noch alle Endgeräte zu ersetzen?
Verweise
[1] https://www.wi-fi.org/news-events/newsroom/wi-fi-alliance-introduces-wi-fi-certified-7
[2] https://www.ieee802.org/11/Reports/802.11_Timelines.htm
[3] https://www.comconsult.com/wi-fi-7-jetzt-schon-wirklich/