Digital Divide: Nutzt Deutschland die Chance?

08.03.2022 / Dr. Behrooz Moayeri

Behrooz Moayeri

Digital Divide ist die Kluft zwischen verschiedenen Gruppen von Menschen hinsichtlich ihres Zugangs zu leistungsfähiger Onlinekommunikation. Leistungsfähiger Internetzugang ist das Privileg einer Minderheit. Arme Länder sind diesbezüglich benachteiligt. Doch auch innerhalb der reichen Länder gibt es die Digital Divide. In den USA können Bewohner von Metropolen Internetzugänge nutzen, deren durchschnittliche Bitrate um Größenordnungen höher liegt als der Mittelwert in ländlicheren Regionen.

Diese Ungleichheit ist das Ergebnis der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes. Ein privatwirtschaftliches Unternehmen ist bestrebt, seinen Gewinn zu maximieren. Die Gesamtkosten für den Aufbau einer Mobilfunkzelle werden in den USA zwischen 200.000 und 250.000 Dollar geschätzt. Dieses Geld ist in einer Millionenstadt viel besser angelegt als auf dem Land, wo die Mobilfunkzelle von viel weniger Kunden genutzt wird.

Territorium: Fluch und Segen

Länder mit einem großen Territorium sind im Vorteil, was viele Aspekte der Wirtschaft betrifft. Ein großes Territorium bedeutet in der Regel mehr Bauland, landwirtschaftliche Anbaufläche, Energiequellen und Bodenschätze. Ein großes Territorium ist jedoch hinsichtlich der Erschließungskosten ein Nachteil. Große Entfernungen bedeuten höhere Kosten beim Bau von Verkehrswegen und Infrastruktur. Das gilt auch für die Digitalisierung.

Ein Maß für die Quantifizierung des Vorteils bei Digitalisierungskosten kann das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Fläche eines Landes sein:

  • Das BIP der USA ist ungefähr 21 Billionen Dollar. Das Land hat eine Fläche von ca. 9,5 Millionen km2. Das Verhältnis BIP / Fläche beträgt somit ca. 2200 Dollar / km2.
  • Bei China (BIP von 15 Billionen Dollar, Fläche von 9,6 Millionen km2) ergibt sich ein Wert von ca. 1560 Dollar / km2.
  • Zum Vergleich Deutschland: BIP von 3,8 Billionen Dollar, Fläche von 360.000 km2. Das ergibt ca. 10.600 Dollar / km2.

Deutschland ist, was die potenzielle Amortisierung von Infrastrukturen betrifft, somit mehr als sechsmal besser als China und mehr als viermal besser als die USA gestellt. Das gilt natürlich ebenfalls für die Digitalisierung.

Ein ungenutzter Vorteil ist keiner

Der Wert BIP / Fläche gibt natürlich nur eine ungefähre Orientierung über das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen der Digitalisierung. Ein Vorteil diesbezüglich kann jedoch ungenutzt bleiben. Um mal ein ganz anderes Beispiel zu nehmen: Stellen Sie sich ein Land mit einer kleinen Fläche vor, das über große Erdölreserven verfügt. Das Land könnte sich zurücklehnen, den lange als schwarzes Gold bezeichneten Bodenschatz ausheben lassen, verkaufen und sonst nichts tun. Wenn gar keine Infrastruktur gebaut wird, nutzt man auch nicht den Vorteil eines kleinen Territoriums.

Das theoretisch denkbare und praktisch unmögliche Szenario, in dem Leben und Wirtschaft in Deutschland nicht digitalisiert würde, bedeutete, dass der Vorteil eines kleinen Territoriums für die Digitalisierung ungenutzt bliebe. Umgekehrt wäre die Beschleunigung der Digitalisierung gerade in Deutschland ein Wettbewerbsvorteil. Deutschland könnte viel effizienter als die USA und China die Vorteile der Digitalisierung nutzen, weil sie zu viel niedrigeren Kosten erreichbar wäre.

Landflucht oder Stadtflucht?

Jahrzehntelang hat die Landflucht in Deutschland Probleme verursacht. Junge Menschen gingen dorthin, wo sie leichter Arbeit fanden. Das Ergebnis sind verwaiste ländliche Regionen, in denen Schulen geschlossen, Schienen stillgelegt und Buslinien gestrichen werden.

Die Pandemie hat das ein bisschen geändert. Unternehmen wurden größtenteils zu ihrem Glück gezwungen und akzeptierten die Telearbeit. Nun hat sich herausgestellt, dass sie sogar davon profitieren. Das Personal kann ebenfalls davon profitieren, nicht in einer teuren Großstadt leben oder jeden Tag pendeln zu müssen.

Das Problem dabei: Auch in Deutschland gibt es die digitale Kluft. Dass sie nicht so groß ist wie in den USA, liegt zum Teil daran, dass leider in vielen deutschen Städten ebenfalls keine sehr leistungsfähige digitale Infrastruktur existiert. Nichtsdestotrotz kann eine vor allem durch Wohnungsnot verursachte Stadtflucht bedeuten, dass das Leben sich digital verschlechtert, auch was die Telearbeit betrifft. Dann muss man doch pendeln. Zeit und Energie gehen verloren. Es wäre nichts gewonnen. Stadtflucht und Zersiedelung würden vielmehr neue Probleme verursachen.

Damit das nicht passiert, muss Deutschland die Chancen des kleinen Territoriums nutzen und die Digitalisierung beschleunigen.

Flächendeckende Digitalisierung kann Eigendynamik entwickeln

Nun ist es aber so, dass die Digitalisierung nicht dem freien Markt überlassen werden kann. Das private Kapital geht dorthin, wo die kurzfristig erzielbaren Gewinne am höchsten sind. Und das ist im Moment nicht bei der Digitalisierung auf dem Land. Das haben mehr als 20 Jahre privatwirtschaftlich organisierter TK- und Mobilfunkmarkt gezeigt.

Im letzten Jahrhundert waren es vor allem Staaten, die Kommunikationsinfrastrukturen (damals hauptsächlich das Telefonnetz) ausgebaut haben. Ein neuer Schub für die Digitalisierung kann heute auch nur vom Staat kommen, zumindest in Form gezielter Wirtschaftsförderung.

Flächendeckende Digitalisierung kann mittel- bis langfristig eine Eigendynamik entwickeln, die staatliche Förderung langfristig unnötig machen kann. Stellen Sie sich vor, das Land wäre flächendeckend digitalisiert. Dann eröffnen sich auf einmal neue Möglichkeiten für die Digitalisierung von Land- und Forstwirtschaft. In der Landwirtschaft kann Digitalisierung wesentlich zu mehr Effizienz beitragen, zum Beispiel bei der gezielten Bewässerung und Schädlingsbekämpfung sowie der fahrerlosen Bedienung von Landmaschinen. Die Digitalisierung würde auch das Wohnen auf dem Land attraktiver machen und damit das dortige Bauland wertvoller. Erst wenn diese Nutzungsszenarien durch eine Infrastruktur ermöglicht werden, entsteht ein Markt, also eine Nachfrage und folglich auch Anreize für noch mehr Digitalisierung.

Ob Deutschland die Chancen eines kleinen Territoriums für die Digitalisierung nutzt oder es bei Versprechen der Politik bleibt, wird die Zukunft zeigen.

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