aus dem Netzwerk Insider August 2021
Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, wenn für einige Tage der Strom wegbleibt? Nein, ich meine nicht die IT-Infrastruktur, für die Sie verantwortlich zeichnen. Wenn es denn sein muss, verfügen Sie dort über eine Netzersatzanlage, die wichtige Verbraucher mit Strom versorgt. Solange Sie über genügend Brennstoff verfügen, ist die Sache geregelt, oder?
Weit gefehlt! Lassen Sie mich den normalen Bürger betrachten, wenn er in einem der aktuell vom Hochwasser betroffenen Katastrophengebiete lebt. An einigen Orten wurde die gesamte Infrastruktur schwer beschädigt, wenn nicht gar zerstört. Wasserleitungen, Kabel und Glasfasern sind unterbrochen. Die Elektronik in Verteilerstationen wurde unbrauchbar, kleinere Unterverteilungen gänzlich zerstört. Wir haben es mit mehreren „Fehlern“ gleichzeitig zu tun: Nicht nur bekommt mein Smartphone keinen Kontakt mehr zum Mobilfunknetz, sondern ich kann seinen Akku nicht einmal mehr aufladen.
Das Ergebnis wiegt schwer. Neben vielen sonstigen Widrigkeiten ist Kommunikation kaum mehr möglich. Nicht einmal Notrufe lassen sich ohne weiteres absetzen. Was tun?
Schauen wir uns an, welche Maßnahmen in Katastrophenfällen getroffen werden. Zunächst treten die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in Aktion, also Rettungsdienste, Feuerwehren, Katastrophenschutz und das Technische Hilfswerk. Dort verfügt man über Kommunikationssysteme mit mehrstufiger Redundanz.
Sollten Basisstationen des digitalen Behördenfunks TETRA ausfallen, lassen sich neue Basisstationen an exponierten Standorten errichten. Jedes TETRA-Funkgerät ist dazu ohne weiteres in der Lage. Das THW verfügt über mobile Antennenträger samt Stromversorgung, die sich auf den nächsten Berg bringen lassen. Solche Funkzellen sind dann zwar nicht mehr vernetzt, eine Kommunikation der örtlichen Hilfskräfte ist auf diese Weise jedoch möglich. Sollte auch das nicht gelingen, greifen die BOS auf herkömmliche analoge Funktechnik zurück oder gar auf den klassischen Melder, der Nachrichten persönlich überbringt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das Engagement von Privatleuten. Ein Beispiel dafür sind Funkamateure. Es gibt Pläne, Funkamateure an gut zugänglichen Orten zu postieren, um dort Notrufe der Bürger entgegenzunehmen. Sie leiten die Notrufe mittels eigener Funktechnik an einen Funkamateur in der zuständigen Leitstelle der BOS weiter. Solche Zusammenarbeit zwischen Privatleuten und z.B. dem THW wird an einigen Orten regelmäßig geübt.
Weitere Angebote können die Kommunikationsfähigkeit der Bevölkerung wie auch der ortsansässigen Unternehmen unterstützen. So hat das Land Rheinland-Pfalz in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten 12 Empfangsstationen für das satellitenbasierte Internet Starlink installieren lassen (siehe [1]). Bürger können sich im Umfeld dieser Stationen per WLAN ins Internet einwählen.
Derlei Technik im All hat den Vorteil, dass sie von erdgebundenen Problemen nicht betroffen ist. In diesem Zusammenhang bin ich über ein Whitepaper der GSM Association zu „High Altitude Platform Systems“ (HAPS, siehe [2]) gestoßen. Dabei geht es um autonome Flugzeuge, die sich in Höhen von 18 bis 24 km bewegen. Im Gegensatz zu Starlink lassen sich aus dieser vergleichsweise geringen Höhe Mobilfunk-Endgeräte direkt über die bekannten Frequenzen ansprechen. Dennoch deckt ein einzelnes Luftfahrzeug einen Radius von bis zu 70 km ab.
HAPS ist noch Zukunftsmusik. Aber bereits heute verfügen die Mobilfunk-Provider über Prozesse und Technik zur Disaster Recovery (siehe z.B. Beitrag in [3]). Man verfügt über einen Bestand von mobiler Vermittlungstechnik für Mobilfunk und drahtgebundene Netze. Eine Mobilfunk-Basisstation ist in einem LKW-Anhänger untergebracht, dessen auffälligster Teil ein bis auf 20m Höhe ausfahrbarer Mast ist. Daran werden Sektoren-Antennen für die gängigen Mobilfunktechniken 2G, 4G und zukünftig 5G montiert.
Die Einbindung in das Mobilfunknetz erfolgt bei fehlender Verkabelungsinfrastruktur über Richtfunk. Am genannten Mast wird dafür zusätzlich eine Richtantenne („Schüssel“) angebracht, die auf eine entfernte Gegenstelle ausgerichtet wird. Mithilfe einer Drohne prüft man vorab, ob von der Antennenposition Sichtkontakt zu der Gegenstelle besteht. Beide Richtantennen müssen nun korrekt aufeinander ausgerichtet werden. Die anschließende Inbetriebnahme setzt die Einbindung der Basisstation in das Netzmanagement des Providers voraus.
Damit diese Abläufe im Fall des Falles schnell und korrekt erfolgen, üben Provider den Aufbau mobiler Basisstationen gerne im Umfeld von Großveranstaltungen, für die das örtliche Mobilfunknetz meist keine ausreichende Kapazität bereitstellt. Insgesamt halten Provider jedoch nur eine überschaubare Zahl solcher Basisstationen bereit. Daher können wir kaum erwarten, dass bei großflächigen Katastrophen die Versorgung kurzfristig und vollständig wiederhergestellt sein wird. Derzeit – mehr als eine Woche nach den Unwettern – klaffen in der Eifel immer noch große Funklöcher (mehr als dort ohnehin schon vorhanden waren).
Es wäre also äußerst hilfreich, wenn sich zukünftig die großen Provider in Katastrophenfällen zusammentäten und mit vereinten Kräften die benötigte Flächendeckung zu erzielen suchten. Hierzu müssten sie neue Wege gehen. Wie wäre es z.B. mit einem zeitlich und räumlich begrenzten nationalen Roaming?! Was spricht dagegen, dass ich in solchen Fällen mit meinem Mobiltelefon die Infrastruktur eines „fremden“ Providers nutzen kann, wie es immer schon bei Notrufen möglich ist?
Was lernen wir daraus? Die Katastrophenvorsorge hat bereits zahlreiche Eventualitäten in Betracht gezogen und konnte doch nicht alles vorhersehen. Letztlich aber darf der Bürger nicht davon ausgehen, dass ihm in jeder Extremsituation angemessene Hilfe „von oben“ zuteilwird. Eigenverantwortung und Improvisationsgabe sind das Gebot der Stunde!
Die Website des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe [4] kann Ihnen ein Startpunkt sein. Darin finden Sie Hinweise zu allen Bereichen der privaten Notfallvorsorge. Darüber hinaus ist in jedem Fall der Kontakt zu Menschen in Ihrer Umgebung, zu örtlichen Vereinen etc. hilfreich. Je mehr Pfeile Sie im Köcher haben, je mehr Möglichkeiten, desto besser. Es sind mehr Stufen der Redundanz einzuplanen als bisher.
Letzten Endes werden Sie auf Basis dieser Erkenntnisse auch das Disaster Recovery in ihren Unternehmen neu bewerten wollen. Sprechen Sie uns an, wir haben Erfahrung auf diesem Gebiet!
Verweise
[1] https://heise.de/-6143652
[2] https://www.gsma.com/futurenetworks/wp-content/uploads/2021/06/GSMA-HAPS-Towers-in-the-skies-Whitepaper-2021-1.pdf
[3] https://youtu.be/SOv1UyHWAZU
[4] https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/warnung-vorsorge_node