aus dem Netzwerk Insider Juni 2024
Die Frage, ob man in Büro oder Produktion besser auf Kabel oder stattdessen auf WLAN oder andere Funktechniken zurückgreift, haben wir an dieser Stelle schon verschiedentlich diskutiert. Doch wie sieht es beim weltumspannenden Internet aus? Läuft das nicht inzwischen alles über Satelliten?
Es wird Ihnen bekannt sein, und in den Nachrichten hört man zuweilen davon, wenn eines zerstört wurde: Das Internet basiert heute auf Seekabeln. Inzwischen liegen weit mehr als 1 Mio. Kilometer Glasfaserkabel im Meer. Alleine in den Jahren 2023 bis 2025 wird man ca. 300.000 Kilometer Kabel auf 78 Strecken neu verlegt haben. Die Investitionen dafür belaufen sich auf mehr als 10 Mrd. Dollar [1].
Das ist ein gewaltiger Aufwand. Er erinnert an die großen Schwierigkeiten, in der Mitte des 19. Jahrhunderts das erste transatlantische Telegraphenkabel von Irland nach Neufundland zu verlegen. Mit dem damals größten verfügbaren Schiff „Great Eastern“ waren zahlreiche Anläufe nötig, bis die erste Verbindung zustande kam. Nur wenige Tage später war das Kabel bereits defekt.
Viel einfacher war dagegen die Funktelegraphie, die Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals den Atlantik überspannte. Man brauchte lediglich Sender und Empfänger. Die Infrastruktur dazwischen stand zum Nulltarif zur Verfügung, wenn auch nicht immer verlässlich. Die Gründe dafür waren damals noch unbekannt.
Letztlich revolutionierten die geostationären Satelliten der 70er Jahre die weltumspannende Kommunikation. Ich erinnere mich an ein Telefonat, das ich mit Kanada führen durfte. Mein Gesprächspartner war deutlich zu verstehen. Nur die lange Signallaufzeit erforderte eine gewisse Gesprächsdisziplin.
Warum nutzen wir also heute wieder das gute alte Kabel? Zum einen weil geostationäre Satelliten mit viel Latenz verbunden sind. Zum anderen skalieren Glasfaserkabel besser als Satelliten. Die Gesamtkapazität aller Seekabel beträgt derzeit knapp 4 Pbit/s; das entspricht 40.000 Satelliten mit einer angenommenen Kapazität von je 100 Gbit/s.
Die Probleme des Seekabels sind jedoch immer noch dieselben wie am Anfang. Die Bedingungen auf dem Meeresboden sind alles andere als günstig. Erdbeben, Erdrutsche, die Fischerei und auch Sabotage lassen Seekabel immer wieder brechen. Dass Haie Kabel anfressen, scheint dagegen eher eine Mär zu sein. In früheren Zeiten, als die Isolation von Seekabeln noch aus Jute bestand, gab es allerdings zerstörerischen Befall von Bohrwürmern.
Etwa 200 Kabelbrüche zählt man pro Jahr. Zuletzt wurden im Roten Meer gleich mehrere Kabel beschädigt, wahrscheinlich vom Anker eines Frachters, der zuvor mit Raketen angegriffen worden war. Der Aufwand zur Erhaltung des Internets ist also nicht unerheblich und bleibt doch den meisten von uns verborgen. Einen spannenden Artikel zu diesem Thema las ich kürzlich in [2]. Ich erzähle Ihnen ein wenig davon:
- Zunächst einmal muss man die defekte Stelle möglichst genau lokalisieren. Dafür eignet sich das altbekannte Verfahren der optischen Reflektometrie. Mit einem OTDR (Optical Time Domain Reflectometer) leuchtet man von Land in die Kabelenden hinein. Aus der Laufzeit der reflektierten Impulse lassen sich Orte von Störstellen bis auf wenige Meter genau bestimmen.
- Nun benötigt man ein Schiff, das mit Seilwinden und passenden Werkzeugen ausgestattet ist. In der Nähe der vermuteten Störstelle zieht es spezielle Haken über den Meeresgrund und versucht damit das Kabel zu erwischen und an die Oberfläche zu ziehen. So machte man es bereits vor 150 Jahren, nur hat man die Werkzeuge inzwischen optimiert. Möglicherweise muss man das Kabel zunächst durchschneiden, um es nach oben ziehen zu können. Dafür gibt es ebenfalls entsprechendes Werkzeug. In flacherem Wasser, d.h. bis zu 2000 Meter Tiefe, setzt man inzwischen auch Tauchroboter (Remotely-operated Vehicles, ROVs) ein.
- Hat man das erste Kabelende auf diese Weise gefunden, wird es mit einer Boje markiert und das gegenüberliegende Ende auf dieselbe Weise gesucht. Das zieht man an Bord des Schiffes und spleißt ein neues Stück Glasfaserkabel an. Die Spleiße werden wie auch an Land üblich in Spleißkassetten zusammengefasst. Umhüllt wird alles mit einer wasserdichten Muffe.
- Zuletzt fährt das Schiff zurück zur Boje, während es Muffe und entsprechende Länge neuen Kabels achteraus ins Meer zurückgleiten lässt. Dort angekommen wird das zweite Kabelende mit dem neuen Kabel verbunden und schließlich alles im Meer versenkt. Die durch das neue Kabel entstandene Überlänge wird nach Möglichkeit in einer Schleife abgelegt.
Von weltweit insgesamt ca. 80 Kabellegern sind nur gut 20 Schiffe dafür ausgerüstet, defekte Seekabel reparieren zu können. Viele dieser Schiffe haben inzwischen ein Alter erreicht, in dem man Tanker und Massengutfrachter meist schon abgewrackt hätte. Entsprechend alt ist auch das mit Spezialwissen ausgestattete Personal auf diesen Schiffen.
Es fehlt an Nachwuchs. Einerseits fokussiert sich die Internet-Industrie eher auf das Verlegen neuer Kabel als auf die Wartung der vorhandenen. Andererseits ist die Seefahrt nicht jedermanns Sache. Können Sie sich vorstellen, regelmäßig wochenlang von zu Hause fort zu sein und auf einem Schiff zu leben, das vielleicht nicht allen Komfort eines Kreuzfahrtschiffes bietet? Darüber hinaus könnte es Sie frustrieren, dass Sie superschnelles Internet am Laufen halten, während Sie selbst gerade einmal E-Mails oder Chat-Nachrichten verschicken können, weil das Internet an Bord für mehr nicht ausreicht (ja, ich kann ein Lied davon singen).
Allen Widrigkeiten zum Trotz scheint es, als sei beim weltumspannenden Internet der Wettbewerb zugunsten des Kabels ausgegangen. Wirklich? Verschiedentlich war zu lesen, man habe niedrig fliegende Satelliten (Low Earth Orbiters, LEOs) als Internet-Zugangstechnik nicht zuletzt zu dem Zweck erfunden, weite Strecken schneller überbrücken zu können als mit dem Kabel. Kürzere Signallaufzeit ergäbe insbesondere geldwerte Vorteile beim sogenannten Hochfrequenzhandel.
In der Tat, die Satellitenverbindung ist schneller, rechnen Sie es nach (vergessen Sie dabei nicht, dass sich Licht im Glas nur etwa mit zwei Dritteln der Geschwindigkeit fortbewegt wie im Vakuum)! Alles nur eine Verschwörungstheorie? Wer weiß, womöglich schwingt auch beim Internet das Pendel irgendwann zurück in Richtung des Funks. Vielleicht in einer Variante mit Laser-Licht?
Verweise
[1] https://submarine-cable-map-2024.telegeography.com/
[2] https://www.theverge.com/c/24070570/internet-cables-undersea-deep-repair-ships