Immer wieder erleben wir in IT-Ausschreibungen, die wir im Auftrag unserer Kunden begleiten, aufseiten der Auftraggeber eine unrealistische Erwartungshaltung, was das Verhältnis von Nachfrage und Angebot betrifft. Fachabteilungen führen nun mal nicht häufig IT-Ausschreibungen durch. In der Regel müssen sie sich sogar sehr selten, in Abständen von mehreren Jahren, mit einem Vergabeverfahren befassen, das der Beauftragung eines externen Unternehmens mit Lieferungen und Leistungen dient. So fehlt häufig die richtige Einschätzung der eigenen Wichtigkeit für die potenziellen Bieter. Die Vorstellung sitzt tief, dass der Kunde der König sei, nach dessen Willen und Wünschen die Auftragnehmer zu richten haben. Wenn ein Überangebot im Vergleich zur Nachfrage herrscht, ist diese Haltung grundsätzlich nicht verkehrt. Wenn jedoch die Nachfrage das Angebot weit überwiegt, trifft die Erwartungshaltung nicht zu.
In den meisten IT-Bereichen überwiegt die Nachfrage das Angebot, weil fast jedes IT-Vergabeverfahren einen gewissen Anteil an Dienstleistungen umfasst, für die man ohne menschliches Zutun nicht auskommt. Und die Menschen sind aufgrund des Fachkräftemangels in der IT zu knappen Ressourcen geworden. Dies gilt von der Angebotsbearbeitung bis zur Auftragsdurchführung. Immer mehr Anbieter schauen sich die sie erreichenden Ausschreibungen genau an und mustern solche aus, die im Vergleich zu anderen Vergabeverfahren zu viel Aufwand verursachen – sei es bei der Ausarbeitung des Angebots oder bei der Erfüllung der Anforderungen nach der Auftragsvergabe. Je gefragter die Dienste eines Unternehmens, desto wählerischer ist es beim Aussuchen der Ausschreibungen, die es überhaupt beantwortet. So kommt es, dass mancher Auftraggeber sich wundert, wenn seine Erwartungen an die Fülle und Qualität der Angebote arg enttäuscht werden oder sich überhaupt kein Bieter findet, der ein gültiges und brauchbares Angebot abgibt.
In der Privatwirtschaft kann man eine durch unrealistische Markteinschätzung gescheiterte Ausschreibung durch eine korrigierte schneller wiederholen als bei öffentlichen Auftraggebern. Diese müssen manchmal das Ergebnis einer nicht optimalen Ausschreibung akzeptieren und den Zuschlag an ein Angebot erteilen, das ihre ursprünglichen Anforderungen an Qualität oder das Verhältnis zwischen Leistung und Preis bei Weitem nicht erfüllt. Deshalb ist es besser, durch die möglichst einfache Gestaltung der Ausschreibung und die Konzentration auf das Wesentliche die Voraussetzungen für mehr Wettbewerb zu schaffen. Das Wesentliche besteht dabei aus Anforderungen, die auf jeden Fall von allen Bietern zu erfüllen sind, d.h. die berühmten Ausschluss- bzw. A-Kriterien, doch auch aus den wirklich wichtigen Bewertungs- bzw. B-Kriterien, deren Erfüllung oder Nichterfüllung die Qualität der angebotenen Leistung ausmacht. Realistisch sein heißt auch, jedes A-Kriterium darauf zu prüfen, ob es wirklich ein solches ist, und jedes B-Kriterium darauf, ob es wichtig ist und wesentliche Unterschiede zwischen denkbaren Angeboten widerspiegeln wird. In diesem Sinne: Bleiben Sie realistisch!