Die Planung einer flächendeckenden, anwendungsneutralen Kommunikationsverkabelung vom Verteiler bis zum Endgerät (z.B. als Tertiärverkabelung im Bürogebäude) hat das Ziel, eine Verkabelung bereitzustellen, deren Nutzungszeitraum mindestens 10 Jahre umfasst und die für diesen Zeitraum erwarteten Übertragungstechniken ohne Neu- oder Nachverkabelung sicherzustellen. Die erwarteten Übertragungstechniken werden sein:
- Datenübertragung (aktueller Ansatz: 10 Gbit/s müssen möglich sein)
- Stromübertragung (aktueller Ansatz: 73 Watt am Endgerät müssen möglich sein)
Aktuell kann niemand abschätzen, wie viele Endgeräte diese beiden Übertragungstechniken in einem normalen Netz brauchen werden, doch jeder Planer versucht die Verkabelung so auszulegen, dass alle Anschlüsse gleichzeitig mit beiden maximalen Techniken genutzt werden können.
Vor den Zeiten des PoE gab es nur ein einziges Problem, bei dem sich eine große Anzahl von Kabeln in einem Kabelführungssystem gegenseitig stören konnte, das war das ALIEN-Crosstalk-Problem mit Einführung von 10GBASE-T. In Deutschland wurde das durch Verwendung von geschirmter Verkabelung gelöst. Dazu eine kleine Randbemerkung: Die wenigsten Ethernet-Verbindungen in Deutschland laufen über eine geschirmte Verkabelung, die jeweiligen Betreiber dieser Strecken glauben das zwar, doch dem ist nicht so. Fast jede Kabelstrecke, an deren Ende z.B. ein VoIP-Telefon, eine IP-Kamera und ein Access Point angeschlossen sind, stellt keine vollwertig geschirmte Verbindung dar.
Mit der Einführung von PoE akzeptierte man die Beeinflussung des übertragenen Speisestroms (ein Gleichstrom) auf die Datenübertragung. Der Grund ist einfach: Ein Gleichstrom auf den Adern des Kabels – immerhin sind bis zu 960 mA pro Adernpaar möglich – führt zu einer Erwärmung des Kabels (bei vielen Kabeln im Bündel erfolgt eine besonders hohe Erwärmung der Kabel im Inneren des Bündels). Das Kabel wird deshalb nicht brennen oder schmelzen, doch die hochfrequenztechnischen Eigenschaften des Kabels ändern sich und damit im Extremfall die nutzbare Datenrate oder die Fehlerrate.
Es könnte theoretisch sein, dass in einem Kabelbündel mit wenigen PoE-Übertragungsstrecken eine Strecke, die mit 10 Gbit/s betrieben wird, bei Erhöhung der summierten PoE-Leistung eine Zunahme der Fehler aufweist oder möglicherweise gar nicht mehr nutzbar ist, weil sich die technischen Eigenschaften des Kabels durch die Erwärmung des Bündels verändert haben.
Zunächst einmal ist das eine derzeit theoretische Gefahr, und dem Autor sind weder in Fachpublikationen noch in seinen Begegnungen mit Seminarteilnehmern oder Kunden solche Probleme begegnet. Doch natürlich verlangt eine gute Fachplanung, dass man diese Gefahr nicht ignoriert und sie so weit wie möglich (und bezahlbar) berücksichtigt. Da es kaum einen Erfahrungspool gibt, aus dem man sich bedienen kann, liegt es nahe, sich an aktuellen Standards oder Richtlinien zu orientieren, die hier weiterhelfen können.
Naheliegend ist es zunächst einmal, sich die Anforderungen des IEEE selber heranzuziehen. Diese Anforderungen sind auch bei der höchsten Leistungsstufe gemäß IEEE 802.3bt eher „bescheiden“: Es werden eine Verkabelung der Klasse D und damit Komponenten der Kategorie 5 empfohlen. So gut wie keine aktuelle Installation oder Fachplanung sieht Kabel vor, die schlechter sind als Kategorie 6, fast alle Planungen schließen sogar die Nutzung von Kategorie-7- oder 7A-Kabeln ein. Also kein Problem, da IEEE natürlich keine Summation von Wärmequellen betrachtet. Nachfolgend die Tabelle 1 aus der IEEE 802.3bt:
Die nächste Stelle wäre die Suche nach Hinweisen in den europäischen Normen. Da fängt man mit der EN 50173 an. Hier gibt es erstmal keine Hilfestellungen zur Installation und die Norm verweist weiter auf die EN 50174, wo dann tatsächlich unter EN 50174-2 auf 4 Seiten ausführliche Tabellen und Formeln zum Thema Fernspeisung und dem Einfluss der Temperatur zu finden sind. Nach Ansicht des Autors sind diese Leitlinien im Planungsalltag jedoch wenig praktikabel und dürften wohl in die wenigsten Planungen einfließen:
- Wer will tatsächlich die Umgebungstemperatur für die unterschiedlichen Teilstrecken der Verkabelung ermitteln oder vorhersagen, denn diese müssen in die Formeln eingegeben werden? Konkret: Die Länge LN muss ermittelt werden, dies ist „die Länge der Verkabelungsstrecke/Übertragungsstrecke mit gemeinsamen thermischen Eigenschaften, wobei Längenwerte von unter 1m …. nicht berücksichtigt werden“, dazukommt die Ermittlung von Tambient-n als Umgebungstemperatur und Ermittlung von DeltaTambient-n als zusätzliche Temperatur aufgrund der Fernspeisung auf der Länge LN. So, wer wird das machen, vor allem mit einer Prognose zu einem PoE-Einsatz in der Zukunft?
- Wer kann bei einer gewöhnlichen Verkabelung genau vorhersagen, in welcher Bündelform die Kabel durch das Installationsunternehmen verlegt worden sind, und wer kontrolliert das dann tatsächlich, nachdem die Kabelwege geschlossen wurden?
Also stellt sich die Frage, ob es auch etwas Einfacheres gibt? Und ja, da muss man den Autoren der AMEV ein Lob auss
prechen. Doch zunächst: Wer oder was ist AMEV? AMEV steht für „Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen“ und hat eine frei abrufbare Richtlinie für die Planung von Infrastrukturen bei öffentlichen Gebäuden herausgegeben. Verantwortlich für diese Richtlinie ist das „Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat“. Unter anderem betrachtet die AMEV auch die „Planung, Bau und Betrieb von räumlich begrenzten anwendungsneutralen Kommunikationsnetzwerken in öffentlichen Gebäuden“ (URL: https://www.amev-online.de/AMEVInhalt/Planen/Fernmelde-und-IT-Anlagen/LAN%202021/). Da gibt es eine Berechnungshilfe zur Kabelerwärmung in Form einer EXCEL-Datei, in welche man verschiedene Parameter eingeben und dann auf Basis der EN 50174-2 die Dämpfungserhöhung des Datenkabels in % ermitteln kann. Daraus wiederum kann man mithilfe eines vorliegenden Datenblatts beurteilen, ob die Länge des Datenkabels noch den geforderten Datendienst zulässt. Der nachfolgende Screenshot veranschaulicht die Idee der Tabelle und ist weitestgehend selbsterklärend:
Fazit
Es lohnt sich, die Tabelle zu nutzen und einmal ein bisschen mit den Parametern zu spielen. Man wird feststellen, dass der Einsatz von PoE im Grunde genommen kein hohes Risikopotenzial hat. Berücksichtigt man die Empfehlung der EN 50174-2 zu einer Installation von maximal 24 Kabeln pro geschlossenes Bündel, sollte auch diese Temperaturerhöhung zu keinen Problemen führen. Doch wie gesagt, umfangreiche Erfahrungen zum Einsatz von PoE mit hohen Leistungen und hohen Datenraten gibt es so gut wie keine.