Projektinterview: Ausschreibung einer Contact-Center-Lösung in sechs Monaten
05.06.23 / mit Nils Wantia sprach Christiane Zweipfennig
aus dem Netzwerk Insider Juni 2023
Technologischer Fortschritt verändert den Kundenservice. Call Center entwickeln sich durch Erweiterungen neuer Kontaktformen wie Social Media, Online-Chats und E-Mail zu multimedialen Contact Centern der Zukunft. Omni-Channel-Lösungen sind auf dem Vormarsch. Neue Technologien bieten die Chance, den Kundenservice noch effizienter zu gestalten, vorausgesetzt, man weiß, sie richtig einzusetzen.
Als Leiter des ComConsult Competence Centers Kommunikationslösungen berät Nils Wantia Kunden zu allen Aufgabenstellungen rund um das Thema Kommunikation. In diesem Interview berichtet er davon, wie es möglich war, in einer privaten Ausschreibung bereits nach wenigen Monaten dem Kunden geeignete Anbieter für eine auf seine Anforderungen zugeschnittene Contact-Center-Lösung zu präsentieren.
Nils, inwieweit haben sich deine Aufgaben im Bereich der Kommunikationslösungen im Laufe der Zeit geändert?
Früher gab es in den Unternehmen nur die klassische TK-Anlage. Da drehte sich alles um das Telefon. Dann entwickelte sich das weiter in Richtung Clients, Softclients, PC, Smartphone und Tablet. Heute ist der Fokus auf Software und natürlich der Cloud und damit auf dem Nutzer beziehungsweise der Nutzerschnittstelle. An diesem Punkt findet letztendlich die Kommunikation statt. Hier unterscheidet sich die Abteilung Kommunikationslösungen von den anderen Competence Centern bei ComConsult, bei denen der Schwerpunkt mehr auf der Infrastrukturebene liegt.
Gibt es heute in den Unternehmen noch den klassischen TK-Mitarbeiter?
Ja, auf jeden Fall. Früher gab es die klassischen TK-Abteilungen, die getrennt von der IT arbeiteten. Sie wurden nach und nach entweder von der IT übernommen oder in die IT integriert. Doch das ist nicht überall so. Aktuell haben wir ein Projekt bei einem Kunden, bei dem es tatsächlich immer noch eine TK-Abteilung gibt. Und das ist keine Ausnahme. Bei einigen Firmen existiert nach wie vor eine Trennung zwischen der TK- und der IT-Abteilung. Teilweise werden sogar noch ISDN-Anlagen in den Unternehmen eingesetzt. Die Mitarbeiter werden zwar langsam umgeschult, dürfen jedoch immer noch in ihrer „TK-Welt“ bleiben. Die Denkweise, dass TK und IT zwei unterschiedliche Bereiche sind, ist bei vielen weiterhin internalisiert. Mit dem Umstieg auf die Cloud beginnen viele Unternehmen, das Thema Kommunikation neu zu denken. Parallel dazu haben sich jedoch viele Unternehmen schon vor vielen Jahren neu aufgestellt und die Kommunikation (inklusive der ehemaligen TKler) längst vollständig in ihre IT integriert. Da gibt es große Unterschiede.
Was ist der Unterschied zwischen einer ACD-Anlage, einem Call Center und einem Contact Center?
Die Begrifflichkeiten werden von Kunde zu Kunde anders verwendet. Es gibt keine klaren Definitionen. Ich kann dazu die Sicht von ComConsult erläutern: Eine ACD-Anlage bedeutet automatische Anruf-Verteilung (Automatic Call Distribution) und hat, wie der Name schon sagt, die Funktion, eingehende Anrufe zum Beispiel von einer Kundenhotline bestimmten Empfängern zuzuordnen. Auch beim Call Center geht es nur um die Telefonie. Das Contact Center ist eine moderne Lösung und ermöglicht es dem Kunden, Unternehmen auf die Weise zu erreichen, die für den Kunden am angenehmsten ist. Neben der Kontaktaufnahme über Telefon kann das zum Beispiel über Chat, soziale Medien oder E-Mail geschehen. Man spricht hier auch von einem Omnichannel Contact Center. Ein Contact Center bietet zudem Möglichkeiten für Monitoring, Reporting, Rollen- und Rechteverteilungen. Sämtliche Aktivitäten sollen überwacht und ausgewertet werden können. Man kann beispielsweise sehen, welcher Agent gerade was macht, man kann eingehende Anfragen in Warteschlangen schieben und vieles mehr.
Die Telefonanlage eines großen deutschen Konzerns entsprach nicht mehr den aktuellen und zukünftigen technischen Anforderungen. Der Konzern wollte deshalb seinen Kundenservice optimieren und plante eine moderne Contact-Center-Lösung, die von externen und internen Mitarbeitern genutzt werden sollte. Was war die Zielsetzung?
Der Konzern arbeitete mit verschiedenen ACD- beziehungsweise Call-Center-Dienstleistern, die zusammen mit ihrer Dienstleistung ihre Plattform verkauft haben. Ziel unseres Kunden war es, diese Dienstleistungen zu konsolidieren und in einer großen Contact-Center-Lösung zusammenzuführen, um alle Aktivitäten technisch unter Kontrolle zu haben, nicht zuletzt, um die einzelnen Dienstleister im Auge behalten zu können.
Welche Anforderungen bestanden an die zukünftige Call-Center-Lösung?
Neben der reinen Telefonie und der Bearbeitung eingehender E-Mails war zum Beispiel die Erweiterung um eine Chat-Funktion ein großes Thema. Der Chat wird über die Webseite gestartet. Das kennt ja mittlerweile jeder, dass auf einer Homepage ein Fenster erscheint und gefragt wird „Wie kann ich Ihnen helfen?“ oder Ähnliches. Wenn man dann eine Frage stellt, die der Bot nicht beantworten kann, wird man mit einem Agenten verbunden. Neben dem klassischen Chat wurde auch über einen WhatsApp-Chat diskutiert, der – wie so oft – wegen verschiedener Einschränkungen dann doch nicht infrage kam.
Was sind typische Kundenanfragen?
Die Anfragen fangen beim simplen Erkundigen nach Öffnungszeiten einer bestimmen Filiale an. Komplexer wird es, wenn beispielsweise Detailfragen über den Bestellstatus einer Online-Bestellung hereinkommen.
Es sollte also auch ein CRM-System in die Contact-Center-Lösung eingebunden werden?
Ja. Ein Customer-Relationship-Management-System (CRM-System) verwaltet systematisch alle Beziehungen und Interaktionen eines Unternehmens mit dessen Kunden. Unser Kunde hatte ein CRM-Tool aus der Cloud im Einsatz, das mit der Contact-Center-Lösung verbunden werden sollte. Im konkreten Fall bedeutet das zum Beispiel, dass der Bearbeiter bei einer eingehenden Kundenanfrage direkt sieht, welche Vorgänge zu dem Kunden bestehen und kann gegebenenfalls direkt an den zuständigen Agenten weiterverbinden.
Warum ist die Integration des CRM-Tools in die Contact-Center-Lösung wichtig?
Man macht sehr viel Effizienz daran fest. Wenn man zum Beispiel bei jeder Kundenanfrage durch gezieltes Weiterleiten an den richtigen Agenten zwei oder drei Sekunden sparen kann und diesem sofort die bekannten Informationen zu diesem Fall präsentiert werden, summiert sich das über den Tag bei mehreren hundert Agenten.
Normalerweise gibt es im Bereich der Kommunikationslösungen wenige Möglichkeiten, die Effektivität von Aktivitäten zu messen, auszuwerten und so zu optimieren, dass Einsparungen vorgenommen werden können, sprich: den Return of Invest zu berechnen. Im Gegenteil: Wenn zum Beispiel eine neue Kommunikationslösung mit Video eingeführt wird, kann man meistens keine Aussagen über die Auswirkungen auf die Effizienz der Mitarbeiter machen und es kostet nur mehr Geld.
Bei Contact-Center-Lösungen sieht das anders aus. Hier kann man genau ermitteln, wie viele Anrufe in welcher Zeit abgearbeitet werden können und wie viele Mitarbeiter eingesetzt werden müssen. Das Thema Künstliche Intelligenz und Chatbots wird hier nicht umsonst immer wieder diskutiert. Man kann teilweise bis auf den Euro genau ermitteln, wie viel Geld dadurch eingespart werden kann, wenn Chatbots auf der Webseite bereits erfolgreich Kundenanfragen „abfangen“ konnten. Das gilt auch für automatische Telefonansagen, die den Kunden durch gezieltes Abfragen zu seinem Anliegen direkt zum richtigen Agenten führen.
Was waren die technischen Herausforderungen in diesem Projekt?
Eine der großen Herausforderungen war die Integration des CRM-Tools in die Contact-Center-Lösung. Dabei sollte nicht nur eine, sondern es sollten mehrere Instanzen des CRM-Systems gleichzeitig angebunden werden können. Wie eben schon erwähnt war eine weitere große Baustelle, die verschiedenen Dienstleister, die unabhängig voneinander für mehrere Hotlines zuständig waren, zusammenzuführen, um sie zentral zu verwalten. Hier war die Anforderung des Kunden, dass die Agenten nicht nur auf mehreren, strikt voneinander getrennten CRM-Systemen zugleich arbeiten sollten, sondern dabei auch eindeutig von den Agenten anderer Dienstleister getrennt werden.
Das Projekt fand in einem rasanten Tempo statt. Erzähle bitte davon.
Ich hatte einen sehr optimistischen Zeitplan aufgestellt, von dem ich selber wusste, dass er kaum einzuhalten war. Wir hatten für die Ausschreibung ein halbes Jahr Zeit und haben den Zeitrahmen tatsächlich eingehalten, was sehr sportlich war. Wir haben Workshops geplant, um die Anforderungen der verschiedenen Unternehmensbereiche aufzunehmen. Die einzelnen Workshops haben wir dann innerhalb derselben Woche online durchgeführt. Wir standen am Anfang der Corona-Pandemie. Zu der Zeit waren Online-Workshops noch eine Seltenheit. Mit unserem Kunden klappte die Organisation der Workshops, an denen Mitarbeiter aus der IT, aus Fachabteilungen und dem Einkauf beteiligt waren, sehr gut. Die Kommunikation lief flüssig und wir bekamen unsere Termine immer in wenigen Tagen. Auf der Grundlage der so gewonnenen Anforderungen konnten wir schon zu einem frühen Zeitpunkt eine Leistungsbeschreibung aufsetzen, die Teil der Vergabeunterlagen war.
Wie verlief die Ausschreibungsphase?
Wenn man moderne Cloud-Lösungen wie beispielsweise Microsoft Teams, Webex oder Zoom einführt, muss man sich mit den Anforderungen in der Regel stark an den Angeboten der Hersteller orientieren. Man kauft quasi ein Produkt von der Stange, das man anschließend in Grenzen an seine Umgebung anpasst.
Contact-Center-Ausschreibungen orientieren sich dagegen deutlich stärker an individuellen Anforderungen der Kunden. Aus unserer Erfahrung fallen bei Contact-Center-Lösungen in jedem Projekt bei jedem Kunden Änderungen an, sei es, dass zum Beispiel noch etwas konfiguriert oder programmiert werden muss oder eine Datenbank oder ein CRM-Tool integriert werden soll. Deshalb haben wir mit den Herstellern, noch bevor sie die Unterlagen bekommen haben, bereits mehrere Gesprächstermine vereinbart und ihnen genau erklärt, wie die Anforderungen waren und was wir vorhatten. Das hatte den Vorteil, dass wir schon im Vorfeld sämtliche Missverständnisse ausräumen konnten. Dadurch konnten wir wertvolle Zeit einsparen, die sonst mit unzureichenden oder unpassenden Angebotsabgaben, Nachbesserungen und Rückfragen entstanden wäre. In den nachfolgenden Bietergesprächen, die ja normalerweise die erste Kontaktaufnahme zum Besprechen von Unklarheiten sind, waren wir also schon ein ganzes Stück weiter und mit den Bietern bereits auf einer sehr technischen Detailebene und in der Klärung, wie genau eine Umsetzung möglich wäre.
Für die Hersteller waren die Anforderungen zum Teil Neuland. Die Anbieter waren sehr engagiert, nicht zuletzt, weil es ein sehr attraktives Projekt war. In den Bietergesprächen haben die Hersteller teilweise schon sehr konkrete Demos vorgeführt, damit die Fachbereiche bereits eine Idee von der späteren Umsetzung bekommen konnten. Das wurde von unserem Kunden sehr positiv aufgenommen. Am Ende standen vier Anbieter zur Auswahl, von denen wir glaubten, dass sie dazu in der Lage wären, die Anforderungen umzusetzen.
Die sehr frühe und umfangreiche Kommunikation mit den Bietern während der Ausschreibungsphase war allerdings nur möglich, weil es sich um eine private Ausschreibung handelte. Bei einer öffentlichen Ausschreibung hätten wir das so nicht machen können, weil da andere Regeln herrschen.
Hat ComConsult einen Probebetrieb als Vorbereitung auf die Migration durchgeführt?
Ursprünglich war es der Wunsch des Kunden, die Lösungen der infrage kommenden Hersteller in einer Teststellung auszuprobieren, um festzustellen, ob die technische Schnittstelle auch genau so funktioniert, wie es die Anbieter zugesichert hatten. Einen solchen Probebetrieb aufzubauen, auszuführen und auszuwerten hätte aber Monate Zeit in Anspruch genommen und diese Zeit war nicht da. Also haben wir uns mit dem Kunden darauf geeinigt, dass wir eine Teststellung mit der Lösung des präferierten Anbieters parallel zur Umsetzung aufbauen. Hätten wir hier festgestellt, dass die Lösung nicht funktioniert, hätten wir an dieser Stelle noch die Notbremse ziehen und das Projekt noch einmal mit der Lösung eines anderen Anbieters, der in der engeren Auswahl war, neu ausrollen können. Das war jedoch nicht der Fall. Die Migration fand dann in mehreren Blöcken statt, indem die einzelnen Dienstleister beziehungsweise Hotlines schrittweise umgeleitet wurden.