Projektinterview: Planung eines Digitalisierungsnetzwerks für IoT-Komponenten für ein Quartier
05.08.2024 / Stephan Bien
aus dem Netzwerk Insider August 2024
Ein Smart Quartier ist ein Wohngebiet, das durch den Einsatz von Technologien und digitalen Diensten darauf abzielt, den Lebensstandard und die Lebensqualität seiner Bewohner zu verbessern. Die Errichtung eines Digitalisierungsnetzwerkes für IoT-Komponenten aus den Bereichen Smart Living und Smart Home bildet dafür eine der Grundlagen.
Stephan Bien hat Ingenieurinformatik studiert und ist seit 16 Jahren bei ComConsult tätig. Dort beschäftigt er sich mit aktiven Netzen von der Planung und der Begleitung von Ausschreibungen bis zur Inbetriebnahme. Seit sechs Jahren ist das Planen von Smart Buildings sein weiterer Arbeitsschwerpunkt.
Eine Immobiliengesellschaft plante ein Quartier in einer Großstadt und beauftragte ComConsult mit der Planung des zu errichtenden Digitalisierungsnetzwerkes. Welche Ausgangssituation war gegeben?
Ein Investor plante ein Quartier mit rund 20 Gebäuden. Es handelte sich um Neubauten sowie Bestandsgebäude, die teilweise unter Denkmalschutz standen. Es sollten neben 1.700 Wohnungen weitere Einrichtungen wie Geschäfte, Gemeinschaftsräume, Co-Working-Bereiche entstehen. Die Besitzer und Bauherren strebten eine digitale Grundausstattung für die Mieter an und beauftragten ComConsult mit der Planung, Ausschreibung und Umsetzungsbegleitung eines Digitalisierungsnetzwerkes zur Bereitstellung von Smart-Home-Funktionen.
Was war das Besondere bei der Planung des IoT-Netzes?
Die Besonderheit in diesem Projekt war, dass wir auf einen LWL-Infrastrukturbetreiber zurückgreifen konnten, der für das gesamte Quartier einen LWL-Backbone zur Verfügung gestellt hat. Wir haben mit dem Betreiber einen Vertrag abgeschlossen, der uns die Nutzung dedizierter LWL-Verbindungen dieser Infrastruktur für unser IoT-Netz ermöglichte. Uns war es wichtig, dass zukünftig jeder Mieter sein eigenständiges unabhängiges Netz nutzen kann, über das er Internet bezieht. Das IoT-Netz sollte parallel autark laufen und über eine eigene redundante Internetversorgung verfügen. Von einem zentralen Raum aus gab es eine LWL-Struktur zu allen Bauteilen. Ein Leerrohr-System mit den dazugehörigen Lichtwellenleitern wurde speziell für uns reserviert. Auf dieser Basis wurde in den Gebäuden eine weitere strukturierte IT-Verkabelung aufgebaut. Damit sind vorteilhafte Synergien entstanden, die allerdings auch viele Schnittstellen und Abhängigkeiten mit sich gebracht haben.
Wie sah die räumliche Aufteilung für die Verkabelung aus?
Es gab einen zentralen Technikraum für die aktiven Backbone-Komponenten. Von dort aus führte die Kommunikationsverkabelung in die Hausanschlussräume der einzelnen Häuser und dann weiter in die einzelnen Wohneinheiten sowie in Allgemeinbereiche wie Hausflure, Fahrradkeller und Tiefgaragen.
Welche Smart-Home-Funktionen hatte der Kunde vorgesehen?
Es sollten Gegensprechanlagen eingerichtet werden, damit man zwischen Wohnung und Haustür kommunizieren und die Haustüre digital öffnen kann. Diese Kombination aus Gegensprechanlagen und Zutrittstechnik betraf natürlich auch die Tiefgarageneinfahrten. Die Wohnungen an sich sollte der Mieter mit seinem Handy mittels sogenannter Offline-Zylinder losgelöst vom IoT-Netz öffnen können. Zusätzlich sollte neben der traditionellen Bedienung über Schalter und Taster die Option bestehen, die Stellventile der Fußbodenheizung und die Beleuchtung in der Wohnung über die sogenannte Quartiers-App zu steuern.
Welche Anforderungen an die Informationssicherheit bestanden für das IoT-Netz?
Wir haben für das IoT-Netz ein hohes Maß an Informationssicherheit gefordert. Zur Berücksichtigung der Cybersecurity haben wir auf verschiedene anerkannte Sicherheitsstandards und Regelwerke zurückgegriffen. Neben der internationalen Norm ISO/IEC 27001 bietet das IT-Grundschutz-Kompendium vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik eine Sammlung von Bausteinen, die themenspezifisch Anforderungen bündeln. Für die Planung der IT-Sicherheitsinfrastruktur haben wir uns auf den Baustein NET.1.1 Netzwerkarchitektur und -design und zusätzlich auf die Bausteine INF.13 Technisches Gebäudemanagement und INF.14 Gebäudeautomation gestützt. Wir entwickelten eine mehrstufige Firewallarchitektur und bauten eine physikalische Trennung zwischen dem internen Netz, dem Managementnetz und der demilitarisierten Zone (DMZ) auf. Diese Umsetzung auf Enterprise-Niveau war dem Kunden wichtig, und wir haben diesen Anspruch mit einem hohen Maß an Informationssicherheit, Netztrennung, Netzsegmentierung und Firewalls realisiert.
Was beinhalteten die Leistungsbeschreibungen, die ComConsult erstellt hat?
Die Ausschreibung war dreiteilig aufgebaut. In einer Ausschreibung ging es um die Lieferung der Hardware mit der Software und den zugehörigen Lizenzen. Darauf aufbauend beschrieb ein weiteres Los die Dienstleistung, die gelieferten Komponenten nach Vorgabe zu konfigurieren und in Betrieb zu nehmen. Im dritten Los ging es um den Betrieb des fertigen Netzes.
ComConsult wurde mit den Planungsleistungen in Anlehnung an die HOAI-Leistungsphasen 6 bis 9 beauftragt. Was war in der Leistungsphase 6 eure Aufgabe?
Auf Basis der funktionalen Leistungsbeschreibung haben wir in der Leistungsphase 6 die auszuschreibenden Mengen der einzelnen Komponenten ermittelt und in einem Leistungsverzeichnis zusammengefasst. Im Leistungsverzeichnis werden die Komponenten definiert und die Anforderungen beschrieben, die die Systeme erfüllen sollen. Wir haben ein Produkt vorgegeben, doch hatten die Bieter auch die Möglichkeit, alternative Produkte anzubieten, die den Vorgaben entsprechen. Letztendlich kamen teilweise auch alternative Produkte zum Einsatz. Auf Basis der Mengenermittlung haben wir für den Kunden eine Kostenberechnung durchgeführt.
Wie war die Resonanz der Bieter?
Unsere Ausschreibung fand im Frühjahr 2022 statt, zu einer Zeit, in der es mehrere Probleme gab. Insbesondere war der Halbleitermangel deutlich spürbar, denn die Preise gingen durch die Decke. Dies führte dazu, dass wir von Bietern Angebote mit sehr unterschiedlichen Preisvorstellungen erhalten haben. In der Leistungsphase 7 standen wir den Anbieter-Firmen während der Gebotserstellung für technische Rückfragen zur Verfügung. Für den Vergleich der Bieterangebote erstellten wir einen Preisspiegel und fertigten für unseren Kunden einen Bericht an, der die technischen, inhaltlichen und preislichen Kriterien zusammenfasste. Der Teil der Bieter kam in die engere Auswahl, der die Vorgaben zum Produkt erfüllte. Wir haben dem Kunden einen Vergabevorschlag unterbreitet. Letztendlich wurde sich für den Bieter mit dem attraktivsten Preisangebot entschieden.
Momentan befindet ihr euch in der Phase der Bauaufsicht, der HOAI-Leistungsphase 8.
Genau. Wir führen zurzeit die Fachbauaufsicht des IoT-Nachunternehmers durch. Unsere Aufgabe ist es zu überprüfen, dass alle vertraglich vereinbarten Leistungen auch wirklich umgesetzt werden. Der Nachunternehmer liefert und konfiguriert die Hardware und baut sie ein. Wir fungieren als überwachende Instanz, die die Kosten kontrolliert, die zeitliche Planung im Auge behält, die Qualität überprüft und Funktions- und Redundanztests durchführt. Im Gesamtprojekt sind wir in Abstimmung mit mehreren hundert Beteiligten, von den Bauherren bis zu den Bauarbeitern vor Ort. Wir stehen mit sehr vielen Koordinatoren, Projektsteuerern und Fachfirmen in Kontakt. Da dieses Projekt in mehrere Teilprojekte unterteilt ist, gibt es beispielsweise nicht nur eine Elektrofachfirma, sondern gleich mehrere. Dadurch liegt eine recht komplexe Struktur vor und wir sind dafür zuständig, die Arbeiten des IoT-Nachunternehmers mit allen Beteiligten zu koordinieren. Ich musste nebenbei lernen, dass beim Tiefbau eine Menge passieren kann. Ich habe erfahren, dass das, was man sich vor eineinhalb Jahren einmal vorgenommen hatte, so nicht unbedingt eintreten wird. Es gibt ständig Änderungen, die es zu berücksichtigen gilt. Zum Beispiel kommt es zu unregelmäßigen Bauverzögerungen, weil beispielsweise das Wetter nicht mitspielt. Oder es kommt beim Tiefbau zu Überraschungen, weil Versorgungsschächte für das vorhandene Versorgungsnetz anders liegen, als sie im Plan verzeichnet waren. Dann muss neu geplant werden, was zu Verzögerungen führen kann. Und selbst wenn eine Baumaßnahme abgeschlossen ist, kann noch einiges schieflaufen. Wenn der Garten- und Landschaftsbauer die Grünanlage anlegt, kann schon mal der Bagger zu tief graben und dabei das LWL-Kabel beschädigen. Wir mussten zum Teil Richtfunkstrecken aufbauen, um wieder eine stabile Verbindung herzustellen und darauf warten, dass die LWL-Infrastruktur wiederhergestellt wird. Diese hohe Dynamik der unvorhersehbaren Ereignisse in Kombination mit der Komplexität der Schnittstellen zwischen allen Baubeteiligten stellen in diesem Projekt eine besondere Herausforderung dar.
Wie kann man in einem so komplexen Projekt den Überblick behalten und den Zeitplan einhalten?
Alle Projektbeteiligten arbeiten mit einem abgestimmten Projektplan und es gilt, Veränderungen dynamisch anzupassen. Änderungen, die sich an anderen Stellen ergeben, muss man in die Planung einfließen lassen. Im Endeffekt ist man erheblich damit beschäftigt, die ursprüngliche Planung an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Es ist notwendig, einen gewissen zeitlichen Spielraum zu berücksichtigen, um größere Verzögerungen zu vermeiden. Ein wichtiger Bestandteil im Bauablauf ist die Prüfung der Vorleistungen, die als Bedingungen für uns vorgegeben sind. Wenn wir grünes Licht haben und alle Vorleistungen erfüllt sind, können wir mit einer im Vorfeld definierten Vorlaufzeit die Installation durchführen. So arbeiten wir uns Schritt für Schritt durch die Teilprojekte, Gebäude und Wohnungen.
Wie ist ComConsult in diesem Projekt aufgestellt?
Ganz klassisch. Die Projektleitung liegt bei mir. Dann gibt es tatkräftige Unterstützung durch den stellvertretenden Projektleiter und unsere Mannschaft dahinter, die das Projekt mitträgt. Wir führen regelmäßige Meetings auf den verschiedenen Ebenen durch. Ein erheblicher Anteil der Arbeit fällt wie gesagt auf die Koordination und die Absprachen. In der Bauphase gibt es neben den Online-Meetings selbstverständlich eine erhöhte Präsenz vor Ort, was auch verständlich ist, denn so können wir immer dynamisch auf Änderungen reagieren und gemeinschaftlich Entscheidungen treffen.
Was war in diesem Projekt die besondere Herausforderung?
In meinen bisherigen Projekten lag der Fokus auf dem Aufbau von Unternehmensnetzen. In diesem Projekt stand ich vor der Herausforderung, ein Netzwerk für den privaten Wohnungsbau aufzubauen mit Anforderungen, die üblicherweise an ein Unternehmensnetzwerk gestellt werden. Der Kunde wünschte sich Enterprise-Funktionen auf der einen Seite, doch standen ihm auf der anderen Seite nur die Geldmittel für Smart-Home-Komponenten zu Verfügung. Hier galt es, einen gesunden Mittelweg zu finden, was uns auch sehr gut gelungen ist. Eine weitere Besonderheit war der hohe Anteil an Schnittstellen. So bedarf es beispielsweise für das Einrichten einer Gegensprechanlage der Absprache mit dem Haustürtechniker, der Elektrofachkraft, der Zutrittstechnik und den Zuständigen für das IoT-Netzwerk. Drumherum sind dann noch die zuständigen Steuerungsinstanzen involviert. Aufgrund der Aufteilung der Gebäude in mehrere Teilprojekte und der Tatsache, dass unterschiedliche Nachunternehmer für ein und dasselbe Gewerk zum Einsatz kommen, sind jeweils koordinierte Absprachen und eine gute Dokumentation von Arbeitsergebnissen unumgänglich.
Wie ist das Projekt zeitlich abgelaufen?
Das Projekt begann Ende 2020 mit der Ermittlung der Funktionen und Use Cases. Viele Ideen wurden gestrichen oder als Vorhaltung für zukünftige Erweiterungen berücksichtigt. Beispielsweise gab es die Überlegung, dass in den Flurbereichen digitale Boards installiert werden sollten. Die Datenanschlüsse wurden zwar ausgeführt, doch im ersten Schritt kommen erst einmal analoge Boards zum Einsatz. Auch die Videoüberwachung wollte man ursprünglich umfangreicher ausbauen, doch hat man das Thema aus Kostengründen in Teilen zurückgestellt. Es gab viele Vorhaben, die aus Geld- und Zeitgründen nicht realisiert werden konnten. Allerdings wurden die technischen Vorbereitungen getroffen, falls zu einem späteren Zeitpunkt ein Vorhaben umgesetzt werden soll. Die Leistungsphase 6 startete im März des vorletzten Jahres und dauerte bezogen auf alle drei Lose fast ein Jahr. Ein halbes Jahr später begannen wir mit den Verhandlungen und der Auswertung der Angebote der Bieter, die wir nach fünf Monaten abschließen konnten. Unsere Tätigkeit als Bauaufsicht nahmen wir mit der Pilotierung eines Musteraufbaus der Backbone-Infrastruktur beim IoT-Nachunternehmer im Februar 2022 auf. Für den zeitlichen Ablauf ist ein Bestandsgebäude von besonderer Bedeutung, da dieses sehr aufwendig zu renovieren ist, weshalb es immer wieder zu Verzögerungen kommt. Hier werden wir wahrscheinlich eine Baupause einlegen müssen. Nach dem momentanen Stand wird die Leistungsphase 8 voraussichtlich im April 2025 abgeschlossen sein.