Sind Messen noch zeitgemäß?

16.03.2023 / Dr. Joachim Wetzlar

Wollten Sie hunderte Kilometer fahren oder gar tausende fliegen, ein exorbitant teures Hotelzimmer beziehen und unverschämte Preise fürs Abendessen bezahlen, nur um eine Messe zu besuchen? Unvorstellbar in der heutigen Zeit; ökologisch nicht im Mindesten zu verantworten. Stattdessen ist es viel effizienter, wenn ich alle Unternehmen, deren Produkte und Leistungen mich interessieren, sukzessive zu Online-Sitzungen einlade und sie mit meinen Fragen löchere. Oder vielleicht doch nicht?

Mein Kollege David Feuser und ich wagten das Experiment: Wir sind nach Barcelona geflogen und haben uns vier Tage lang beim Mobile World Congress 2023 die Füße platt gelaufen – samt teurem Hotelzimmer und Bier am Abend. War es das wert?

Derlei Messen verlangen nach einer guten Vorbereitung. Wir hatten vorab die uns bekannten Unternehmen angesprochen und Termine gemacht. In der Regel bekommt man die wirklich interessanten Dinge nicht zu Gesicht, solange man nicht in den abgetrennten Bereich eines Messestandes gelangt. Diese Hürde lässt sich nur mit einem Termin überwinden. Dies gilt vor allem für die Messestände der „Giants“, also der großen Anbieter von Mobilfunktechnik. Der Stand von Huawei alleine umfasste mit ca. 30.000 qm fast eine ganze Messehalle, gut bewacht von freundlichen doch bestimmten Damen. Die Stadt dahinter konnten wir dank unseres Ansprechpartners besichtigen.

Abbildung 1: Mobile World Congress 2023, Barcelona

Auf der anderen Seite sind solche Messen wie Flohmärkte. Während wir die Hallen durchquerten, fielen uns am Wegesrand zahlreiche interessante Dinge ins Auge, die wir online wohl nie entdeckt hätten. Einige Beispiele:

  • Auf meinen Fehlersuche-Seminaren erläutere ich regelmäßig das Verfahren der „Explicit Congestion Notification“ (ECN). Wussten Sie, dass es inzwischen ein weitergehendes Verfahren gibt, das sich ECN bedient? Es heißt „Low Loss, Scalable Throughput Internet Service“ (L4S) und soll bei gegebenem Durchsatz Paketverlustrate und Latenz reduzieren. Die Standards (RFC 9330-9332) wurden im Januar veröffentlicht.
  • Die Abkürzung D2D steht für „Direct to Device“. Dabei handelt es sich um Internet-Dienste von Satelliten oder High Altitude Platform Systems (HAPS), sie sich ohne Weiteres mit Standard-Endgeräten nutzen lassen. In entlegenen Gebieten verbände sich Ihr Smartphone direkt mit einem Satelliten. Es gibt vielversprechende Ansätze dafür.
  • Können Sie sich vorstellen, was sich hinter dem Begriff „Passive IoT“ verbirgt? Das funktioniert vergleichbar zu den heutigen RFID- bzw. NFC-Chips. IoT-Devices beziehen also ihre Energie aus der sie umgebenden Funkstrahlung. Bereits mit 5G Advanced, spätestens jedoch mit 6G soll dies auf Entfernungen von bis zu 200 Metern funktionieren. Mit der dann in Städten voraussichtlich implementierten hohen Dichte von Millimeterwellen-Antennen lässt sich die „Smart City“ realisieren, ohne dass man dauernd Batterien der IoT-Devices tauschen müsste.
  • Der Begriff des „Sensing“ geht in eine ähnliche Richtung. Während die Mobilfunkausrüster fieberhaft daran arbeiten, die Ortung von 5G-Endgeräten endlich zu ermöglichen, wird es mit 6G möglich werden, beliebige Objekte zu orten, also insbesondere Objekte ohne eingebaute Funktechnik, so auch Menschen. Basis dafür ist die Millimeterwellentechnik, bei der vergleichbar zu RADAR oder Bewegungsmeldern die von Objekten rückgestreute Energie vermessen wird. Erste Showcases konnten wir auf der Messe bestaunen.
  • Vergangenes Jahr habe ich über das Thema Li-Fi berichtet. Und ehrlich, ich halte es für eine Totgeburt. Dennoch wird das IEEE dieses Jahr den Standard 802.11bb verabschieden. Und ein Hersteller hat Produkte und Showcases dazu vorgestellt. Für mich interessant war, dass diese Produkte anscheinend eine größere Überlebenswahrscheinlichkeit haben als solche, die auf dem (technisch besseren) Standard G.vlc basieren.

An dieser Stelle werden wir in den nächsten Wochen das eine oder andere Thema im Detail beleuchten. Auch werden unsere kommenden Veranstaltungen, beispielsweise die Sonderveranstaltung Netze, davon profitieren.

Bleibt mir zuletzt, die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Ja, Messen sind nach wie vor zeitgemäß! Übrigens gilt das ebenfalls für unsere Präsenz-Seminare. Auch dabei werden Sie manches quasi am Wegesrand entdecken, das im eingeengten Blick der Videokamera nicht zu sehen ist. Ich freue mich auf Sie!

Sonderveranstaltung Netze
22.04.-24.04.2024 online

Mobilfunk von 1G bis 5G
14.01.-15.01.2025 in Bonn | online

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