Nun beeinträchtigt der Klimawandel sogar den Mobilfunk. In Ars Technica [1] las ich von Problemen mit Smartphones, die das 5G-Modem „Snapdragon X50“ von Qualcomm enthalten. Bei Temperaturen über 30°C besteht offensichtlich eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass solche Smartphones überhitzen und infolgedessen auf 4G gedrosselt werden. Und – was schwerer wiegt – einige Provider machen das offensichtlich nicht einmal kenntlich. Das Mobilfunksymbol bleibt einfach bei „5G“ hängen.
Nun, diese Beobachtungen wurden in den USA gemacht. Dort wird 5G an einigen Orten sogar schon auf Millimeterwellen oberhalb 20 GHz abgestrahlt, mit denen sich richtig hohe Datenraten erzielen lassen. In Deutschland werden wir solche Probleme wohl nicht zu sehen bekommen, wenn auch wir den Klimawandel deutlich spüren. Der Bund hat ja die Mobilfunk-Provider erst einmal ausbluten lassen, bevor diese den 5G-Ausbau ihrer Netze beginnen dürfen. Und die Millimeterwellen-Bänder wurden noch gar nicht versteigert. Wir Anwender dürfen uns also getrost zurücklehnen und uns auch in den kommenden Jahren mit den 4G-Bitraten beim mobilen Internet begnügen (reicht ja eigentlich auch). Das 5G-Anwendungs-Szenario “Enhanced Mobile Broadband” (eMMB) wird hierzulande auf sich warten lassen.
Besser könnte es mit den anderen Szenarien aussehen, die von der ITU-R für 5G beworben werden (siehe [2]). 5G ist nämlich mehr als nur schnelleres Internet für Smartphones. Diese Szenarien heißen:
- “Ultra-Reliable Low Latency Communications” (uRLLC): Die Antwortzeiten, die ein mobiles Endgerät von der Mobilfunk-Basisstation erwarten kann, wurden durch verschiedene technische Maßnahmen dramatisch gesenkt. Man spricht nun von Antwortzeiten bis herunter zu einer Millisekunde. Gleichzeitig können sehr geringe Bitfehlerraten erwartet werden, so dass die Kommunikation sehr verlässlich wird.
- “Massive Machine Type Communications” (mMTC): Eine Mobilfunk-Basisstation wird bis zu 50.000 Endgeräte mit sehr geringen Bitraten unterstützen. Gleichzeitig können sehr hohe Reichweiten erzielt werden, indem beispielsweise ein einzelnes Datenpaket tausendmal wiederholt ausgesandt wird. Einer Versorgung der – inzwischen sprichwörtlichen – letzten Milchkanne steht also in technischer Hinsicht nichts mehr im Wege.
Unsere Hoffnung ruht nun darauf, dass die Bundesnetzagentur wie angekündigt im Herbst Lizenzen an Unternehmen vergeben wird. Der Frequenzbereich 3,7 bis 3,8 GHz wurde nämlich von der kürzlich zu Ende gegangenen Frequenzauktion ausgenommen und für „regionale Zuteilungen“ reserviert (siehe [3]).
Im Unternehmens-Umfeld sind zahlreiche Anwendungen für die beiden neuen Szenarien denkbar. Mit uRLLC lassen sich beispielsweise Industrieroboter und fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) steuern. Und mMTC kann als Basis für zahlreiche Logistikanwendungen dienen. Insbesondere die Automobilindustrie sieht sich hier als große Nutznießerin, und Mobilfunkanwendungen (noch auf Basis von LTE) sind in deren Produktionshallen bereits im Aufbau bzw. Test.
Nun werden Sie fragen, wozu man für diese Zwecke unbedingt 5G-Mobilfunk einsetzen sollte. Tut es WLAN nicht auch? Ich nenne Ihnen einige Argumente gegen WLAN:
- WLAN ist gerade im Umfeld der produzierenden Unternehmen bereits heute notorisch überlastet. In meinen Projekten schlage ich mich häufig mit diesem „Leid des WLAN“ herum. Meine Empfehlung für Anwendungen im WLAN lautet daher: Die Anwendung muss jederzeit eine Unterbrechung von bis zu 10 Sekunden (!) verkraften können, ohne in ihrer Funktion beeinträchtigt zu werden. Wenn eine Anwendung damit nicht zurechtkommt, ist sie für den produktiven Einsatz im WLAN ungeeignet und benötigt letztlich eine andere Funktechnik.
- Im Außenbereich ist WLAN nicht so einfach bereitzustellen. Denken Sie beispielsweise an eine Anwendung zur Ortung und Verfolgung von Containern in einem großen Hafen. So etwas lässt sich stattdessen mit verschiedenen anderen Funktechniken realisieren, wie beispielsweise Sigfox oder LoRaWAN. Aber eben auch mit 5G und seinem Szenario mMTC. Je nach Anforderungen an Kosten, Betriebsmodell und Sicherheit kann man auf öffentliche Infrastrukturen zurückgreifen oder eigene errichten.
- Der Mobilfunk entstammt einer Welt, in der es zunächst vor allem um die sichere Übertragung von Sprache ging. Synchronität und Freiheit von Jitter waren ursprüngliche Design-Ziele. Dies alles fehlte im WLAN und wurde erst in zahlreichen „Nachträgen“ zum Standard hinzugefügt, meist mehr schlecht als recht. Und genau darunter leiden Anwendungen im WLAN, bei denen es auf „Echtzeitfähigkeit“ ankommt.
Den letzten Punkt möchte ich noch ein wenig näher beleuchten. Was ist es, das den Mobilfunk vom WLAN unterscheidet? Hier ist vor allem der Umstand zu nennen, dass im Mobilfunk die Basisstation ihre Sendefrequenz exklusiv nutzen kann. Die Basisstation kann also senden, wann immer sie es will – rund um die Uhr, wenn es sein muss. Jedes Frequenzband umfasst sowohl einen Bereich für den “Downlink” von der Basis zum mobilen Endgerät als auch für den “Uplink“ vom Endgerät zur Basis. So verwendet das in Deutschland verbreitete LTE-Band 20 den Frequenzbereich 791 – 821 MHz für den Downlink und den Bereich 832 – 863 MHz für den Uplink.
Die Mobilfunk-Basisstation braucht sich also nicht gegen mobile Endgeräte und andere Basisstationen den Medienzugang zu erkämpfen. Vergleichen Sie dies mit der typischen Situation in großen Fertigungs- oder Logistik-Hallen mit zig WLAN-Access-Points und hunderten Endgeräten. Hier werden meist die Access-Points schon dadurch ausgebremst, dass andere Access-Points auf denselben Kanälen senden – mal abgesehen von hunderten Smartphones, die fleißig den Gast-SSID bevölkern. Selbst das so hochgelobte „neue“ WLAN gemäß IEEE 802.11ax wird dieses Problem nicht wirklich umgehen können (wenn auch eine gewisse Verbesserung zu erwarten ist).
Der zweite große Unterschied zwischen WLAN und Mobilfunk besteht darin, dass eine feste und synchrone Rahmen-Struktur verwendet wird. Ein solcher „Frame“ dauert grundsätzlich 10 Millisekunden. Jeder Frame besteht aus 10 gleich langen „Subframes“. Jeder Subframe umfasst 14 „Symbole“. Jedes Symbol umfasst ein Vielfaches von 12 Unterträgern. Solche „Resource Blocks“ können an verschiedene Empfänger gerichtet sein (Orthogonal Frequency Division Multiple Access, OFDMA), dieses Konzept hat man bekanntlich auch in 11ax WLAN übernommen. Jeder Unterträger kann mit verschiedenen Verfahren moduliert sein, von einer robusten zweiwertigen Phasenmodulation (QPSK) bis zur schnellen 8-wertigen Quadratur-Amplitudenmodulation (256QAM).
Bildlich gesprochen, kann man aus Unterträgern bzw. Resource Blocks und Symbolen eine Matrix machen. Dieses so genannte „Resource Grid” wird nun aufgeteilt auf Kontroll- und Datenkanäle. Bestimmte Symbole von bestimmten Resource Blocks enthalten Steuer-Informationen, etwa um einem Endgerät Resource Blocks für den Uplink zuzuweisen. Andere Symbole und Resource Blocks enthalten Daten an die Endgeräte.
Im Mobilfunk kann es also nicht passieren, dass ein Endgerät, welches gerade eine 1200-Byte-Paket mit der geringstmöglichen Bitrate von 1 Mbit/s sendet, das gesamte Medium 10 Millisekunden lang belegt. Vielmehr steuert die Basisstation auch den Uplink, teilt also den Endgeräten mit, welche Resource Blocks und Unterkanäle sie zu welcher Zeit nutzen können. Das impliziert, dass immer auch mehrere Endgeräte den Uplink gleichzeitig nutzen können, je nach ihrem Bedarf nach Bitrate und Antwortzeit.
Sicher, WLAN nach IEEE 802.11ax hat einige dieser Prinzipien übernommen, und viele (außer mir) hegen große Hoffnungen, dass hierdurch WLAN revolutioniert wird. Andererseits hat nun 5G auch Konzepte aus WLAN übernommen. So wird gegenüber allen vorangehenden Mobilfunk-Generationen eine Flexibilisierung dadurch erreicht, dass sich Abstand und Zahl der Unterkanäle variieren lassen, je nach Anforderung.
Ein beispielsweise vierfacher Kanalabstand geht einher mit einem Viertel der Symboldauer. In einem Subframe befinden sich dann nicht 14 sondern 56 Symbole. Dadurch kann man Endgeräten kürzere Sendezeiten zuweisen mit entsprechend weniger Bits. Die mögliche Antwortzeit sinkt, was vor allem bei uRLLC gewünscht ist. Dass dabei die Bitrate entsprechend abnimmt, kann bei diesen Anwendungen in Kauf genommen werden.
Auf der anderen Seite lässt sich der Kanalabstand vierteln. Dann hat man viermal so viele Unterkanäle zur Verfügung. Während eines Symbols lassen sich mehr Endgeräte gleichzeitig bedienen; das ist für mMTC wünschenswert. Gleichzeitig wird die Antwortzeit länger, was bei mMTC in Kauf genommen werden kann.
Welche dieser Optionen an den Mobilfunk-Basisstationen letztlich aktiviert werden, entscheidet der Betreiber. Was die öffentlichen Provider diesbezüglich anbieten werden, kann ich nicht sagen. Derzeit wehren sich die Provider noch dagegen, dass die Bundesnetzagentur anderen als ihnen Frequenzen zuteilt – und das sogar ohne Milliardenbeträge dafür zu verlangen. Hier werden sicher noch die Gerichte entscheiden.
Sicher ist nur eines: Wenn Sie Ihre eigene 5G-Infrastruktur selber betreiben, können Sie solche Parameter entsprechend Ihrer Anforderungen wählen. Und Sie genießen dann noch einen weiteren Vorteil: Die Antwortzeit hängt nämlich nicht nur von den Parametern der 5G-Luftschnittstelle ab. Sie hängt auch von der Gestaltung des dahinterliegenden Core-Netzes ab. Wenn diese Infrastruktur auf Ihrem Campus ist, kennen Sie deren Parameter. Nicht jedoch, wenn Sie das Rechenzentrum eines Providers nutzen – irgendwo im Nirgendwo.
Natürlich sind auch Mischkonzepte denkbar, beispielsweise eine lokale Infrastruktur für den Transport der Daten („Data Plane“) und die Infrastruktur eines Providers zur Steuerung Ihres Mobilfunknetzes. Anwendungen im Bereich des Internet der Dinge (mMTC) lassen sich – wie bereits oben erwähnt – gar ganz auf öffentliche Infrastruktur stützen. Entsprechende Produkte werden bereits angeboten, derzeit noch auf LTE-Basis unter der Bezeichnung Narrow-band IoT (NB-IoT).
Was der 5G-Markt zukünftig anbieten wird, muss man sehen. Ich rate Ihnen also, die Entwicklung im Auge zu behalten und 5G als große Chance für bestimmte mobile Anwendungen zu begreifen, jenseits von WLAN. Und wenn es dann kommt, ist der Sommer schon vorüber. Im nächsten Sommer haben die Chip-Hersteller dann sicher nachgebessert…
[1] “The latest barrier to 5G speeds? The summer“, Ars Technica, https://arstechnica.com/gadgets/2019/07/the-latest-barrier-to-5g-speeds-the-summer/, abgerufen am 19.07.2019
[2] „IMT Vision – Framework and overall objectives of the future development of IMT for 2020 and beyond”, Recommendation ITU-R M.2083-0, September 2015, https://www.itu.int/rec/R-REC-M.2083-0-201509-I, abgerufen am 19.07.2019
[3] „Regionale und lokale Netze, Frequenzen für das Betreiben regionaler und lokaler drahtloser Netze zum Angebot von Telekommunikationsdiensten“, Bundesnetzagentur, https://www.bundesnetzagentur.de/lokalesbreitband, abgerufen am 19.07.2019