Umwidmung von Fernsehtürmen

06.06.2023 / Dr. Behrooz Moayeri

Im April 2022 bin ich in einem Blog auf sogenannte Non-Terrestrial Networks (NTN) eingegangen. Zur Definition von NTN habe ich mich daran orientiert, dass sowohl vollständig kabelgebundene Netze als auch Netze in der Fachwelt als terrestrisch bezeichnet werden, die als Backhaul, d.h. zur Anbindung von Funk-Basisstationen an übergeordnete Netzebenen, Kabel nutzen.

Nach dieser Definition zählt auch Mobilfunk zu terrestrischen Netzen. In die Kategorie NTN fallen dagegen Techniken, die folgende Einrichtungen und Systeme nutzen:

  • Satellitenkommunikation
  • Drohnen
  • Helikites (Ballon und Kite kombiniert)
  • Andere Formen von High Altitude Platform Systems (HAPS), z. B. in der Stratosphäre

Ohne auf die Frage einzugehen, wo genau die Grenze zwischen terrestrischen und nichtterrestrischen Netzen ist, möchte ich jetzt eine Idee erwähnen, die in der Fachpresse diskutiert wird, nämlich die Umwidmung von Fernsehtürmen.

Die Telefonie fing im 19. Jahrhundert kabelgebunden an und ist jetzt weitgehend schnurlos. Umgekehrt beim Fernsehen: Es startete im 20. Jahrhundert als Funk und nutzt heute hauptsächlich terrestrische Netze, wobei Konsumenten von bewegten Bildern auf der letzten Teilstrecke immer öfter WLAN und Mobilfunk nutzen.

Übrig bleibt eine Infrastruktur von Fernsehtürmen, die man für das Fernsehen nicht mehr braucht. Was soll man damit machen? Wegsprengen? Nur als Touristenattraktion und Aussichtsplattform nutzen?

In der Fachpresse, so zum Beispiel in der Ausgabe April 2023 von IEEE Communications, wird eine neue Verwendung für die Fernsehtürme diskutiert. Die Türme sollen als Basisstationen für Super Cells (SC) genutzt werden. SC leuchten eine weitaus größere Fläche aus als herkömmliche Mobilfunkzellen. Von Fernsehtürmen aus gibt es Sichtverbindungen (Line of Sight, LoS) zu einer Fläche mit einem Radius im hohen zweistelligen Kilometerbereich.

Hinzu kommt, dass der früher für Fernsehfunk genutzte Frequenzbereich im dreistelligen Megahertz-Bereich frei geworden ist bzw. frei wird. Funkwellen sind Funkwellen. Dieselben Eigenschaften der Fernsehtürme, die für Rundfunk genutzt wurden, können jetzt einem anderen Zweck dienen, nämlich Mobilfunk.

Für SC kann die Technik massive Multiple-Input Multiple-Output (mMIMO) im Modus Multi-User (MU) genutzt werden. mMIMO ist in der 5G-Standardisierung enthalten und für Mobilfunkgenerationen ab 6G essenziell.

Die erzielbare Bitrate hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen die zur Verfügung stehende Bandbreite (oder auch Zahl der Unterkanäle eines OFDM-Systems) und das am User Equipment tatsächlich erzielte Verhältnis von Signal zu Rauschen bzw. Störungen. Erstere wird begrenzt durch die von den Regulierungsbehörden bereitgestellten Frequenzen. Das Signal-/Rauschverhältnis wird mittels Beamforming verbessert, eine Spielart von mMIMO. An Fernsehtürmen lassen sich entsprechend große Antennen installieren, deren gebündelter Strahl der hohen Freiraumdämpfung im zweistelligen Kilometerbereich entgegenwirkt. Als Zielgröße für die Downlink-Rate wird 10 Mbit/s angestrebt. Untersuchungen zeigen, dass diese Zahl sowie eine Uplink-Bitrate im Megabit-Bereich möglich sind.

Natürlich hat das Konzept Grenzen. Eine einzelne SC böte für eine Großstadt mit Millionen Usern keine ausreichende Netzkapazität. Aber in einem dünn besiedelten Gebiet kann SC auf Basis vorhandener Türme eine wirtschaftliche Technik sein.

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