Virtual Desktop Infrastructure auch für Spezialanwendungen

27.10.20 / Thomas Steil

Die Virtual Desktop Infrastructure (VDI) ist eigentlich ein alter Hut in der IT. Allerdings ist der Ruf bei den Endanwendern meist katastrophal schlecht. Viele können sich an ein Projekt in der Vergangenheit erinnern: Das ganze Zeug war kaum zu bedienen und wurde dann glücklicherweise wieder eingestellt. Das hatte unterschiedliche Gründe, die vom Netzwerk bis zur verwendeten Hardware und dem Betriebssystem reichen. Ich selbst erinnere mich noch mit Schrecken an die Thin-Clients in der Bibliothek der Universität.

 

Dabei ist die Idee ja sehr verlockend: Man zentralisiert die Hardware an einem Ort und der Nutzer „streamt“ den Bildschirminhalt. Die Vorteile liegen auf der Hand. Einfache Wartung an einem Ort. Das einfache Ausrollen von Updates und Patches. Und der Bereich Cyber-Security ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Wenn der Nutzer keinen echten physischen Rechner mehr unter dem Schreibtisch hat, fällt hier zumindest ein großes Einfallstor weg.

Da mein beruflicher Fokus nicht im Bereich DataCenter liegt, hatte ich selbst nur am Rande mit solchen Projekten zu tun und hörte gelegentlich von Kollegen, dass VDI durchaus ein Thema ist. Meine Erwartung war, dass ich damit maximal meine Office-Programme nutzen könnte. Ich wurde hellhörig, nachdem wir einen Kunden unterstützten, seine CAD-Abteilung mittels einer VDI zu versorgen.

Diese Anwendungen sind deutlich latenzkritischer als eine normale Office-Umgebung. Wo endgültig meine Vorbehalte gegenüber einer solchen Lösung fielen, war die Idee einiger Hersteller, auch Computer- und Videospiele als Streaming-Dienst anzubieten.

Dem Hobbygamer in mir, dem etwas die Zeit für sein Hobby fehlt, war die Sache zutiefst suspekt. Auch meine ersten Versuche mit Playstation Now vor ca. vier Jahren waren gemischt. Die Auflösung war auf 1280 x 720 Pixel begrenzt und der Ton war maximal als Stereo möglich. Dies war für mich als Heimkinoenthusiasten einfach zu wenig. Dennoch musste ich schon damals anerkennen, dass das Spielgefühl flüssig war und ich mir nicht sicher war, ob ich mir die Latenz nur einbildete, weil ich sie erwartete.

Wirklich aktuell wurde das Thema vor ziemlich genau einem Jahr, als Google mit Stadia ankündigte, einen Cloud-Gaming-Dienst zu starten. Denn hier war das Versprechen 4k Gaming mit 60 Bildern pro Sekunde und 5.1 Surround Sound. Dies ist mehr als der Cloud-Gaming-Dienst von Nvidia namens Geforce Now aktuell liefern kann.

Die Neugier sorgte dafür, dass ich das System vorbestellte und nun seit einiger Zeit testen konnte, was Cloud-Gaming bedeutet. An dieser Stelle möchte ich mich nicht über das Spieleangebot oder das Preismodell auslassen, sondern lediglich meine Erfahrungen mit der Technik kurz umreißen.

Seitens Google gibt es eine Testseite, ob die eigene Internetanbindung für den Cloud-Gaming-Dienst geeignet ist. Die Anforderungen für 4k Gaming sind dabei eine stabile 50-Mbit-Verbindung, die mein aktueller DSL Anschluss mit 150 Mbit liefern sollte, auch wenn sich mehrere Geräte die Leitung teilen.

Geliefert wird ein Chromecast Ultra und ein Gamepad von Google wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Hier ist schon die erste Besonderheit.

Abbildung 1: Google Stadia Set mit Chromecast Ultra und Gamepad

Sowohl Chromecast Ultra als auch das Gamepad sind jeweils eigene Clients in meinem Netzwerk. Die Eingaben des Controllers gehen also nicht den Weg über das Ausgabegerät, sondern verbinden sich direkt mit den Rechnern von Google. Die stehen in meinem Fall in Frankfurt. Wer aktuelle Streaming-Dienste nutzt, ist vom Angebot und der Verfügbarkeit sehr verwöhnt. Einen ähnlichen Anspruch hatte ich dementsprechend auch bei der Nutzung von Stadia.

Und tatsächlich konnte ich feststellen, dass die gebotenen Spiele immer auf dem aktuellsten Stand und die Ladezeiten bis zum Start des Programms angenehm kurz sind.

Getestet habe ich es hauptsächlich mit dem Spiel Samurai Shodown, bei dem es sich um ein klassisches Prügelspiel handelt, in dem sich zwei Kontrahenten gegenüberstehen und im Zweikampf messen. Dieses Spiel ist in zweierlei Hinsicht gut für einen Test geeignet. Erstens liefert es eine 4k-Auflösung und 5.1 Surround Sound, was nicht bei allen Spielen der Fall ist. Zweitens ist ein solches Spiel sehr anfällig für Verzögerungen und Aussetzer, da es sehr schnelle Reaktionen erfordert.

Die angegebene Latenz lag bei 16 Millisekunden, was genau einem Bild entspricht, wenn man von 60 Frames per Second ausgeht. Und tatsächlich konnte ich beim Spielen keinerlei Latenz wahrnehmen. Jedoch können die wahren Latenzprobleme erst in den eigenen vier Wänden auftreten. Denn moderne Fernseher oder Projektoren benötigen zur Darstellung des Bildes unter Umständen deutlich länger als die 16 Millisekunden der Internetanbindung. Aus diesem Grund werden Gaming-Monitore mit extrem geringer Latenz genutzt oder entsprechende Game-Einstellungen an modernen AV-Komponenten vorgenommen. Wenn Sie sich je gefragt haben, wofür die Lipsync-Einstellung gut ist, die es an vielen Komponenten gibt: Genau dafür ist sie da. Der Ton wird meist schneller als das Bild verarbeitet und daher kann es hier zu unangenehmen Verzögerungen kommen. Diese liegen schnell im Bereich von 100 Millisekunden oder mehr. Da fallen die 16 Millisekunden nicht weiter ins Gewicht.

Mein Fazit ist daher Folgendes: Wenn schon das Gaming über Streaming funktioniert, dann wird auch jede andere Anwendung aus unserem Arbeitsalltag funktionieren. Denn die Anforderungen an das Büroumfeld sind in der Regel deutlich niedriger. Wann benötigt man hier wirklich 4k mit 60 Bildern pro Sekunden und vielleicht noch Surround Sound? Auch die Nutzung von hardwarelastigen Spezialanwendungen aus dem CAD- oder Design-Bereich sollten kein Problem darstellen. Lediglich eine permanent gute Internetverbindung ist hier der kritische Pfad. Aber dann kann man in der Bahn tatsächlich einmal abschalten.

Sollten Sie sich tiefergehend mit der Thematik befassen möchten, empfehle ich Ihnen die Veröffentlichung „Cloud-gaming: Analysis of Google Stadia traffic [1]“, die eine genaue Analyse bietet.

Verweise

[1] Carrascosa and Bellalta 2020 (Cloud-gaming:Analysis of Google Stadia traffic) https://arxiv.org/abs/2009.09786

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