aus dem Netzwerk Insider Februar 2022
Schon wieder gibt es einen neuen WLAN-Standard, so scheint es. Nach „Wi-Fi 6“ und „Wi-Fi 6E“ hat die Wi-Fi Alliance medienwirksam auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas nun „Wi-Fi 6 Release 2“ vorgestellt. Auf ihrer Website findet sich die Ankündigung [1]. Was verbirgt sich dahinter? Können wir unsere bereits getätigten Investitionen in Wi-Fi-6-Equiment nun schon wieder abschreiben?
Zunächst muss gesagt werden, dass die Wi-Fi Alliance keine Standards veröffentlicht. Stattdessen zertifiziert sie WLAN-Equipment bezüglich ihrer Interoperabilität zu dem Equipment anderer Hersteller. Sie stellt damit sicher, dass Equipment standardkonform ist. Oftmals beschränkt sich die Wi-Fi-Alliance jedoch auf eine Teilmenge der Standards. So war es auch bei Wi-Fi 6. Die Wi-Fi Alliance konnte bereits mit der Zertifizierung von WLAN-Endgeräten beginnen, noch bevor das IEEE die Erweiterung 802.11ax fertiggestellt hatte. Wi-Fi 6 zertifiziert ausschließlich technische Features, die bereits vor Fertigstellung von 802.11ax unstrittig waren.
IEEE 802.11ax wurde vor ziemlich genau einem Jahr am 9. Februar 2021 endgültig veröffentlicht. Es ist also nur folgerichtig, dass die Wi-Fi Alliance weitere Features in seine Interoperabilitätstests aufnimmt. Es handelt sich um folgende:
- Uplink MU-MIMO: Multiple Input, Multiple Output (MIMO) wurde bekanntlich schon in IEEE 802.11n (Neusprech: „Wi-Fi 4“) spezifiziert. Der Sender strahlt die Daten mit mehreren Sendern und Antennen auf derselben (!) Frequenz ab. Der Empfänger verfügt ebenfalls über mehrere Antennen und Empfangszweige, über die er das „Datengemisch“ aufnimmt. Durch geschickte Summen- und Differenzenbildung kann ein digitaler Signalprozessor die ursprünglichen Daten wiederherstellen. Es wird eine Vervielfachung der Übertragungsrate erreicht, bei gleicher Kanalbandbreite.
Multi-User MIMO (MU-MIMO) ermöglicht es einem WLAN Access Point (AP), auf derselben Frequenz Daten an mehrere Stationen zu senden (Downlink MU-MIMO) oder Daten von mehreren Stationen zu empfangen, die gleichzeitig auf derselben Frequenz senden (Uplink MU-MIMO). Ersteres gibt es bereits in Wi-Fi 5, Letzteres ist neu.
- Broadcast Target Wake Time (TWT): Mit diesem Verfahren steuert der AP die Endgeräte so, dass sie einerseits möglichst selten aus dem Stromsparmodus aufwachen und es andererseits möglichst selten zu Kollisionen kommt. Wie beim traditionellen WLAN Power Save wachen die Endgeräte regelmäßig auf, um Beacon Frames abzuhören. Der AP teilt darin den Zeitpunkt für den nächstmöglichen Datenaustausch mit. Alle am Datenaustausch interessierten Endgeräte wachen zu dieser Zeit auf und melden sich beim AP bereit. Der AP steuert die Kommunikation mittels sogenannter Trigger Frames. Der Datenaustausch erfolgt parallel per OFDMA [2].
- Extended Sleep Time: Dieser Begriff stammt offensichtlich nicht vom IEEE; ich konnte ihn in den WLAN-Standards nicht finden. Ich vermute, darunter versteht die Wi-Fi Alliance die Möglichkeit, dass ein Endgerät sich bereits während des Empfangs eines Datenpakets schlafen legen kann, sobald klar ist, dass das gerade empfangene Paket nicht für das Endgerät bestimmt war. Beim IEEE heißt das Verfahren „Intra-PPDU Power Save“.
- Dynamic Multi-User Spatial Multiplexing Power-Save (SMPS) nutzt die Möglichkeiten des MU-MIMO für Stromsparfunktionen. Endgeräte schalten zunächst nur einen ihrer MIMO-Sende-/Empfangszweige ein, wenn sie aus dem Stromsparmodus erwachen. Abhängig von der tatsächlich benötigten Kapazität nutzen sie beim Datenaustausch diesen einen oder nehmen weitere hinzu.
Diesen Features ist gemein, dass sie auf eine höhere Effizienz abzielen. Hohe Bitrate eines einzelnen Endgeräts bedeutet eben nicht hohe Gesamtbitrate. Stattdessen kommt es darauf an, möglichst flexibel auf die tatsächlichen Kapazitätsanforderungen der Endgeräte und ihrer Anwendungen reagieren zu können. Und das muss in Echtzeit passieren, also für jedes Datenpaket erneut entschieden werden. Die hier genannten Features sind besonders auf Endgeräte abgestimmt, die nur wenige Daten übertragen, doch dafür in hoher Zahl im WLAN auftauchen. Das Internet der Dinge schimmert somit aus Wi-Fi 6 Release 2 hervor.
Auch deutschsprachige Medien haben über die Verkündigung der Wi-Fi Alliance berichtet. Interessant fand ich, dass der Artikel in [3] ein weiteres Feature erwähnt, das ich bei der Wi-Fi Alliance in [1] nicht fand: „Uplink Extended Range“ (ER).
Bei ER wiederholen WLAN-Endgeräte bestimmte wichtige Felder im WLAN-Paket. Außerdem wird eine sogenannte Dual Subcarrier Modulation (DCM) angeboten, um größere Reichweiten zu erzielen. Bei der DCM wird dieselbe Information auf zwei verschiedenen Unterträgern ausgesendet. Dadurch ist das Verfahren robust gegen Schmalbandstörer; die Leistungsdichte scheint sich zu verdoppeln. Auch ER zielt letztlich auf robuste Datenübertragung, wenn es auf hohe Bitraten nicht ankommt.
Fazit
WLAN wird so langsam erwachsen. Es kommt aus der Wohnzimmerecke heraus und stellt sich auf die raue Wirklichkeit in der Fabrikhalle ein. Wir sind gespannt, was das in der Praxis bedeutet. Wird WLAN in der Welt des Internets der Dinge und der Industrie 4.0 irgendwann so robust und verlässlich sein, wie wir es heute bereits erwarten?
Verweise
[2] OFDMA = Orthogonal Frequency Division Multiple Access, ein Verfahren paralleler Datenübertragung auf verschiedenen Gruppen von Unterträgern, das bereits in Wi-Fi 6 aufgenommen ist.