Dem Katastrophenschutz der Städte-Region Aachen gelang aber die Rettung des Wurmtals. 130 Personen haben zwei Tage und Nächte lang ununterbrochen mit 35.000 Sandsäcken den weggespülten Hang wiederhergestellt.
Mir sind aber bei der Betrachtung des Werks der unermüdlichen Katastrophenhelfer zwei Fragen in den Sinn gekommen:
- Was wäre, wenn sich die drohende Katastrophe in einer abgelegenen Region anbahnte und unbemerkt bliebe?
- Hätte man den teuren Einsatz durch Früherkennung vermeiden können, zum Beispiel durch eine Erkennung der darin bestehenden Anomalie, dass Baumstämme und ungewöhnlich viel Geäst im reißenden Strom mitschwammen?
Abbildung 1: Was haben diese 35.000 Sandsäcke 500m von meinem Wohnort mit Wireless zu tun?
Und hier kommt die Technologie ins Spiel. Wir in der IT-Gemeinde sprechen viel über IoT, Aktoren, Sensoren und deren Anbindung. Eine sinnvolle Anwendung ist eben Umwelt- und Katastrophenschutz. Bereits heute werden hierfür verschiedenste Technologien genutzt. Ich spreche nicht nur von Satellitenbildern und deren Auswertung. Der Zustand von Bäumen wird bereits in Pilotprojekten mit einfachen Sensoren beobachtet. Solche Sensoren entlang des Verlaufs von Flüssen oder Rohren können wertvolle Dienste leisten. Sie brauchen nicht viel Energie und kämen zum Beispiel mit kleinen Solarpanelen aus, oder mit jahrelang haltenden Batterien.
Alle Welt spricht von 5G. Dabei wird die drahtlose Welt auch in Zukunft von Vielfalt geprägt sein. Wie an dieser Stelle im letzten Geleit meines geschätzten Vorgängers zu lesen war, werden weder 5G noch WiFi die eierlegende Wollmilchsau sein. Dafür sind die dringend benötigten Anwendungen drahtloser Technik zu vielfältig. Dr. Suppan hat in der letzten Ausgabe seiner Verwunderung Ausdruck verliehen, warum solchen Technologien wie Sigfox so wenig Beachtung zuteilwird. Dabei sind Sigfox und LoRa nur zwei Beispiele für das sogenannte LPWAN (Low-Power Wide Area Network). Ich empfehle wärmstens den Beitrag von Dr. Wetzlar in der Insider-Ausgabe vom September 2018, mit dem Titel „Funktechniken für das ‚Internet der Dinge‘“. Von den Ausführungen meines Kollegen habe ich vor allem gelernt, dass es in der drahtlosen Welt bei der Technologievielfalt bleiben wird. Es ist weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll, so unterschiedliche Applikationen wie Anschauen von Youtube-Videos und Monitoring von Wasserständen, Telefonieren und Steuerung von Gabelstaplern, Messdatenerfassung und E-Mail auf Teufel komm raus im selben Netz betreiben zu wollen.
Nichtsdestotrotz ist die Wireless-Diskussion in der Öffentlichkeit 5G-fixiert. Scheinbar dreht sich alles darum, ob die vier Teilnehmer an der Versteigerung der 5G-Frequenzen die sprichwörtliche Milchkanne in Hintertupfingen anbinden werden oder nicht. Sie werden es nicht tun, so viel steht fest. Und die für Forschung zuständige Bundesministerin bezweifelte offen die Sinnfälligkeit eines solchen Unterfangens.
Wenn die Milchkanne nicht angebunden wird, gilt das auch für die Flüsse und Abwasserrohre, und umso mehr für den Baumbestand. Die Provider, insbesondere wenn sie ihren milliardenschweren Beitrag zur Bewahrung der schwarzen Null im Bundeshaushalt geleistet haben, werden vor allem daran interessiert sein, (wie in der gesamten bisherigen Mobilfunk-xG-Historie) mit möglichst wenig Infrastruktur möglichst viel Umsatz zu erzielen. Das ist in Ballungszentren möglich. Es ist also zu vermuten, dass das 5G-gestützte autonome Fahren außerhalb der Großstädte ein Traum bleibt.
Nun werden die meisten von uns noch ein paar Jahre ohne autonomes Fahren überleben. Aber die anderen Anwendungsfälle drahtloser Technik warten nicht. Beispiel Produktion und Logistik: Hier sind unsere meisten bisherigen Berührungspunkte mit dem „Internet of Things“ (IoT). Es ist verständlich, dass die Industrie großes Interesse an den Frequenzen für lokale und regionale Nutzung zeigt. Die Bundesnetzagentur hat, um den Wortlaut der Behörde wiederzugeben, „ein Antragsverfahren für Frequenzzuteilungen im Bereich 3.700 MHz – 3.800 MHz zur lokalen und regionalen Nutzung erarbeitet.“ Es gibt ein ähnliches Verfahren für den Frequenzbereich 26 GHz. Die Bundesnetzagentur nennt als Adressaten dieser Verfahren ausdrücklich die folgenden Organisationen:
- regionale Netzbetreiber,
- kleine und mittlere Unternehmen oder Start-Ups sowie
- Gemeinden und Vertreter der Land- und Forstwirtschaft.
Diese Vergabepolitik liegt im Einklang mit der Identifizierung von drei Hauptkategorien von 5G-Services durch das Third Generation Partnership Project (3GPP), das wichtigste hersteller- und providerübergreifende Gremium für Mobilfunk:
- Enhanced Mobile Broadband für Applikationen mit hohen Bandbreitenanforderungen wie Virtual Reality, Augmented Reality und HD-Video-Streaming,
- Massive Machine-Type Communications (mMTC) für Anwendungen mit einer Vielzahl von angeschlossenen Endgeräten sowie
- Ultra-Reliable and Low-Latency Communications (URLLC) für (latenz-)kritische Applikationen.
Mobilfunk kann aber nur dann mit verschiedenen Netzbetreibern funktionieren, wenn Roaming automatisch erfolgt. Daher ist es verständlich, wenn die Bundesnetzagentur die Frequenzvergabe für 5G an die Bedingung knüpft, dass die Provider ihre Infrastruktur für das lokale Roaming öffnen. Man stelle sich vor, die Städte-Region Aachen schließe die jetzt schon zahlreichen Versorgungslücken in den Aachener Wäldern mit eigenen Basisstationen. Die Forstämter hätten dann sicher die Anforderung, dass die Endgeräte in ihren Fahrzeugen automatisch zwischen dem lokalen und einem bundesweiten Netz wechseln können.
Gegen die Roaming-Vorgaben der Bundesnetzagentur haben dieselben Provider geklagt, die sich an der Versteigerung der 5G-Frequenzen beteiligen. Egal wie dieses juristische Verfahren ausgeht, steht eines fest: Wie schon Dr. Suppan in der letzten Ausgabe begründet hat, kann sich Deutschland nicht damit zufriedengeben, dass die Entwicklung im wichtigsten Technologiebereich von den Interessen der vier Bewerber um 5G-Frequenzen für bundesweite Nutzung abhängt. Das heißt: Entweder wird 5G so umgesetzt wie von der Bundesnetzagentur geplant, sprich mit einer Vielzahl von lokalen und regionalen Betreibern sowie Roaming zwischen ihren Infrastrukturen und denen der bundesweiten Betreiber, oder 5G droht zu einem beschnittenen Nachfolger für die bisherigen Mobilfunkgenerationen zu verkommen. Adieu schöne neue Anwendungen von der Industrie 4.0 bis zur Forst- und Landwirtschaft.
Unter dem Damoklesschwert des drohenden Scheiterns der Mindestvorgaben zu Roaming können die Industrie und andere an Wireless Interessierte nur eins tun: ohne die Provider planen. Wenn die Provider weder Vorgaben an die Flächendeckung noch Roaming-Vorgaben akzeptieren, öffnen sie selbst die Tür zu einem vielschichtigen Markt mit vielen Akteuren. Diese werden es den Providern gleichtun: sich erst mal am eigenen Bedarf orientieren.
Diese Akteure werden von weitaus mehr Bereichen der Gesellschaft kommen als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Das Beispiel der Kommune, die effizienter und wirtschaftlicher Katastrophen- und Umweltschutz betreiben will, habe ich eingangs erwähnt. Und das auch bereits erwähnte Beispiel des produzierenden Gewerbes liegt ebenso auf der Hand. Das Frequenzspektrum ist breiter als die Frequenzbereiche von 5G und WiFi zusammen. Wenn 5G-Anbieter kürzer springen als angekündigt, werden eben einige Anwendungen an 5G vorbeigeplant.
Das ist auch nichts Neues. Weil der Mobilfunk bisher nicht für alle drahtlosen Anwendungen geeignet war, hat WLAN in alle Gebäude Einzug gefunden, vom Wohn- und Krankenhaus bis zur Fabrik- oder Lagerhalle.
Aus demselben Grund, weshalb ein heutiges modernes Industrieunternehmen das WLAN im eigenen Campus meistens selbst betreibt, werden die meisten solchen Organisationen auch in Zukunft ihr Wireless-Schicksal selbst in die Hand nehmen. Und darüber hinaus: Es wird lokale und regionale Betreiber von drahtlosen Netzen geben, die nicht von bundesweit operierenden Providern betrieben werden, ob letztere wollen oder nicht.
Die ersten Industrieunternehmen mit Interesse an Frequenzen für lokale Nutzung sind schon aktiv und planen Netze, die den Frequenzbereich 3,7 bis 3,8 GHz nutzen.
Bleibt noch die Frage, ob staatliche Organe wie kommunale Verwaltungen dies auch tun können. Sie dürfen das, aber können sie auch? Dazu sind Investitionen erforderlich. Mir sind keine Planungen für das Maß an Investitionen der öffentlichen Hand bekannt, die für eine digitale Zukunft notwendig sind. Um eine Flächendeckung in Deutschland zu erreichen, sind zehntausende Basisstationen erforderlich. Dabei ist Deutschland mit ca. 357.000 qkm ein relativ kleines Land. Ein mit ca. 9,6 Mio. qkm wesentlich größeres Land zeigt, wie das geht. Laut einem Bericht eines der weltweit führenden Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen, nämlich Deloitte, hat das im Aufbau von Funkzellen in China tätige Unternehmen China Tower in 2017 täglich ca. 460 Basisstationen errichtet. Der Bericht fügt hinzu, dass China Tower in drei Monaten mehr Zellen aufbaute als in den USA in drei Jahren realisiert wurden.
Was unterscheidet die digitale Infrastruktur vom Straßennetz? Das Straßennetz wurde vor allem in den letzten 200 Jahren mit massiven staatlichen Investitionen aufgebaut. Bei der digitalen Infrastruktur setzt man aber immer noch darauf, dass sich die Provider der Allgemeinheit erbarmen und uns allen die Wohltat der Teilhabe an der digitalen Zukunft erweisen. Das wird nicht im notwendigen Umfang passieren.
Dass der Staat keinesfalls unter der Last der Milliardeninvestition für eine digitale Infrastruktur zusammenbrechen wird, hat das Beispiel Digitalfunk für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) gezeigt. Ich kenne die Planungen und die dafür aufgebrachten Budgets und weiß, wovon ich rede. Vernehmbare Einwände gegen die milliardenschweren Investitionen in den Digitalfunk BOS gab es nicht. Dass der Staat für Sicherheit sorgen muss, sehen offenbar alle ein. Anders ist es anscheinend mit den hoheitlichen Aufgaben im Bereich Infrastruktur. Hier sind wesentlich mehr staatliche Investitionen erforderlich als bisher.
Wir gehen davon aus, dass die Industrie mit ihrem großen Interesse an der drahtlosen Zukunft nicht allein sein wird. Wireless betrifft jede Organisation. Von dieser Überzeugung geleitet haben wir in 2019 eine Reihe von Veranstaltungen geplant, von den Seminaren zu WLAN und Strahlenbelastung bis zum Wireless-Thementag der Sommerschule und dem Wireless-Forum, um nur einige Beispiele zu nennen. Nutzen Sie unser Angebot und die Expertise von Referenten mit jahrzehntelanger Wireless-Praxis.
Im nächsten Geleit werde ich mich näher mit der skurrilen Huawei-Phobie befassen.
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