Bei jeder Fachplanung von neuen Glasfaserstrecken insbesondere für Backbone-Verbindungen stehen in der Regel zwei Kernfragen an:
- Soll man nur noch Singlemodefasern planen?
- Ist die Zeit reif für eine Ablösung der Multimodetypen OM4 durch OM5?
Gehen wir in diesem Beitrag einmal davon aus, dass der Bedarf nach Multimode weiterhin da ist, dann möchte natürlich niemand den Fehler machen, sich für die falsche Faser zu entscheiden, und so liegt es nahe, grundsätzlich und überall OM5 statt OM4 zu wählen. Denn die höhere „Indexnummer“ in der Bezeichnung lässt vermuten, dass OM5 besser sein muss als OM4 (so war es bisher ja immer). Doch ist das so?
Bei der Frage nach „besseren“ Kabelmaterialien lohnt es sich immer, aus unterschiedlichen Perspektiven an diese Frage heranzugehen, diese wären:
- Welche Vorteile sehen die IEEE-Normen?
- Welche Vorteile sieht die EN 50173?
- Wo finden sich die nutzbaren Unterschiede bei den aktuell angebotenen Fabrikaten?
- Was kostet der eventuelle Mehrwert?
Beginnen wir mit den IEEE-Normen. Ein nutzbarer Unterschied hängt immer davon ab, mit welchem Übertragungsverfahren man die Strecke betreiben möchte und damit über welches optische Fenster man das dann machen muss. Bei Multimode stehen grundsätzlich „S-Verfahren“ im 1. optischen Fenster bei 850 nm (z.B. 10GBASE-SR) zur Verfügung und „L-Verfahren“ im 2. optischen Fenster bei 1300 nm (z.B. 10GBASE-LRM). „L-Verfahren“ auf Multimode werden äußerst selten eingesetzt, sodass sich eine Beschränkung auf das 1. optische Fenster anbietet. Gibt es also aus Sicht des IEEE Vorteile bei Verwendung der unterschiedlichen Multimodefasern? Ja, zumindest zwischen OM3 und OM4. Die Reichweite von OM4 ist teilweise deutlich größer. Beispiel: 40GBASE-SR4 ist bei OM3 bis 100 m möglich und bei OM4 bis 150 m. Und OM5? Schaut man sich die verschiedenen Zugangsverfahren an, so wird die OM5 überhaupt nur in den neueren Verfahren aufgelistet, und zwar mit Datenraten jenseits von 100 Gbit/s. Bei den älteren kommt sie häufig gar nicht vor und wenn doch, dann ohne Reichweitenvorteil. So haben z. B. die Verfahren 50GBASE-SR, 100GBASE-SR2 und 200 GBASE-SR4 sowohl bei OM4 als auch bei OM5 eine Reichweite von 100 m.
Einen Reichweitenvorteil hat die OM5 erst bei Übertragungsverfahren, die in keinem der beiden genannten optischen Fenster arbeitet. Davon gibt es im Moment wenige bzw. fast gar keine. Demzufolge bringt die OM5 keinen wirklich nutzbaren Vorteil aus Sicht des IEEE.
Kommen wir zur Verkabelungsnorm EN 50173-1, die die nachrichtentechnischen Eigenschaften spezifiziert (siehe Tabelle unten) und in einem entsprechenden Anhang die Reichweitenvorteile aufzeigt.
Bis einschließlich der Datenrate 100GBASE-SR4, was das letzte in der Norm berücksichtigte Übertragungsverfahren war, weist die Norm keinen Vorteil aus. Das verwundert eigentlich nicht, denn alle „S-Übertragungsverfahren“ nutzen eine Wellenlänge, bei der nach Norm die geforderten Bandbreiten für beide Fasertypen OM4 und OM5 identisch sind, nämlich 3500 MHz*km bzw. 4700 MHz*km.
Zwischenfazit: Solange Sie keine Übertragung im Bereich 953 nm planen – und davon gibt es so gut wie keine, zumindest keine sinnvolle außerhalb eines Rechenzentrums, bringt die OM5 nichts.
Jetzt könnte man ja sagen, dass trotz der gleichen Spezifikation in der Norm vielleicht die auf dem Markt angebotenen OM5-Fasern besser sind als die OM4-Fasern.
ComConsult hat einmal eine sehr kleine und nicht repräsentative Marktanalyse durchgeführt und sich die Datenblätter von verschiedenen Kabelherstellern bezüglich OM4 und OM5 angeschaut. Das Ergebnis kann in der Tabelle nachgesehen werden:
Und man darf schlussfolgern: Auch hier ist kein Vorteil für die Übertragung im 1. oder 2. optischen Fenster durch Verwendung von OM5 erkennbar, die OM5 zeichnet sich „nur“ dadurch aus, dass sie im Datenblatt für das 953nm-Fenster spezifiziert ist.
Kommen wir zum letzten Punkt, dem Preisunterschied. Bei aktuellen ComConsult-Projekten war die OM5-Faser um den Faktor 1,4 bis teilweise 2 teurer als die OM4-Faser. Dieser Preis mag sich in den nächsten Jahren zugunsten der OM5 ändern, doch aktuell müsste sich jeder die Frage stellen: Gebe ich mehr Geld für eine Faser aus, die mir keinen erkennbaren Mehrwert gibt? Diese Frage ergibt sich insbesondere auch deswegen, weil die Zeiten der Multimodefasern wohl bei vielen Kunden der ComConsult zu Ende gehen, die Singlemodefaser wird die Faser der Zukunft sein, zumindest im Backbone.